In zwei Jahren, bei den XXXIII.Olympischen Spielen 2024 in Paris, stehen auch im Gerät-Turnen wieder olympische Wettkämpfe auf dem Programm. Bis dahin wird es noch zwei Weltmeisterschaften in dieser traditionsreichen Sportart geben, die seit 1896, seit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit in Athen, in deren Programm ist: 2022 in Liverpool und 2023 in Antwerpen, wobei Antwerpen Austragungsort der ersten WM im Gerät-Turnen 1903 war und ebenfalls die 44.Titelkämpfe 2013 veranstaltete. 120 Jahre nach den ersten WM wird die belgische Stadt dann 2023 die besten Turnerinnen und Turner der Welt begrüßen – nach Lage der politischen „Dinge“ jedoch wohl nicht die Turn-Riegen aus Russland und Weissrussland.

Bei den 50.WM, ausgetragen 2021 in Kitakyushu, nach dem olympischen Wettkämpfen in Tokyo, gab es für Team D durch Pauline Schäfer-Betz Silber am Schwebebalken, nachdem diese an diesem Gerät 2015 Bronze und 2017 Gold erreicht hatte. In Liverpool muss Pauline gesundheitsbedingt allerdings fehlen. Ansonsten waren bei der Jubiläums-WM 2021 China und Japan besonders erfolgreich. Beide Nationen gehören neben der früheren Sowjetunion (mit Russland sowie der GUS) sowie den USA ohnehin zu den erfolgreichsten Nationen der Turn-Historie. Deutsche Turnerinnen und Turner schafften hingegen bis dato 25 Titel – Platz neun im Medaillen-Ranking seit 1903.

In Schwerin hat der organisierte Turnsport seit mehr als 160 Jahren eine gute Heimat – im Jahr 1859 gründete sich der Schweriner Männer-Turn-Verein. Nach 1950 wurde an die Turn-Traditionen Schwerin angeknüpft. Nach Boxen und Fußball wurde beim SC Traktor Schwerin, der sich mit einer Gründungsversammlung am 18.Juni 1955 offiziell konstituiert hatte, die Sektion Gymnastik-Turnen im September 1955 geschaffen, der vor allem als „grundsportliche Ausbildung der Landjugend“ eine „besondere Bedeutung beigemessen wurde“.

Schwerin ist zudem die Keimzelle einer weltweit renommierten Turn-Veranstaltung – dem „Turnier der Meister“ in Cottbus. Diese ging aus dem internationalen Turn-Wettkampf 1973 in der Schweriner Sport- und Kongresshalle, bei dem Irene Abel und Wolfgang Thüne die Mehrkämpfe gewannen, hervor.

Turnsportliche Glanzpunkte aus M-V-Sicht insgesamt

Von Mexico-City 1968…

Den turnsportlichen Medaillen-Anfang „für M-V“ machte 1968 die gebürtige Rostockerin Marianne Noack, die 1968 mit der DDR-Riege Olympia-Bronze in Mexiko-City gewann und bei den WM 1970 Silber mit der Mannschaft erkämpfte. Die ebenfalls in Rostock geborene Christine Schmitt, Jahrgang 1953, gehörte 1968 als Ersatz-Turnerin zur olympischen DDR-Turnauswahl. Ihren endgültigen internationalen Durchbruch feierte sie mit WM-Bronze auf dem Schwebebalken 1970 (plus Team-Silber).

Bei den Spielen 1968 in Mexico-City war Vera Caslavska aus der Tschechoslowakei mit viermal Gold, zweimal Silber die überragende Turnerin. Bei den Turnern setzten die Japaner Akinori Nakayama (4 x Gold, 1 x Silber, 1 x Bronze) und Sawao Kato (3 x Gold, 1 x Bronze) die massgeblichen Akzente. Die meisten Turn-Medaillen 1968 holte die Sowjetunion mit 18.

  …über München 1972…

Höhepunkt der Karriere von Christine Schmitt war dann noch Olympia-Silber mit der Mannschaft bei Olympia 1972 in München. In München 1972 gewann der Rostocker Reinhard Rychly ebenfalls eine olympische Turn-Medaille. Mit der DDR-Mannschaft errang er Bronze hinter Japan und der Sowjetunion. Bei den Spielen 1972 in München waren Japan und die Sowjetunion mit jeweils 16 Medaillen die erfolgreichsten Turn-Länder, wobei die Weissrussin Olga Korbut (3 x Gold, 1 x Silber) und der Japaner Sawao Kato (3 x Gold, 2 x Silber) ganz besonders jubeln konnten.  Gold aus deutscher Sicht gab es für Karin Janz (Sprung und Stufenbarren) und Klaus Köste (Sprung).

… bis Moskau 1980 und Seoul 1988

Die Hoffmann-Brüder Lutz und Ulf – mit “Neustrelitzer Wurzeln” – setzten die internationalen Erfolge im Kunstturnsport für M-V 1980 bis 1988 fort: Bei den Olympischen Spielen erturnte Lutz Hoffmann mit der DDR-Riege den 2. Platz. Sein jüngerer Bruder Ulf war dreimal auf einem Olympia- bzw. WM-Podest. Jeweils mit den DDR-Teams belegte er bei den WM 1985 und 1987 den Bronze-Rang; bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul gab es sogar Silber. Das erfolgreichste Turn-Land 1980 in Moskau und 1988 in Seoul war jeweils die Sowjetunion (1980: 9 x Gold, 8 x Silber, 5 x Bronze und 1988: 11 x Gold, 5 x Silber, 3 x Bronze). In Moskau erkämpfte der Russe Alexander Ditjatin 3 x Gold, 4 x Silber, 1 x Bronze und die Rumänin Nadia Comaneci 2 x Gold, 2 x Silber. Aus deutschem Blickwinkel gab es 1980 goldene Momente für Maxi Gnauck (Stufenbarren) und Roland Brückner (Boden). In Seoul`88 war die erfolgreichste Turnerin bzw. der erfolgreichste Turner Daniela Silivas (Rumänien, 3 x Gold, 2 x Silber, 1 x Bronze) bzw. Wladimir Artjomow (Sowjetunion, 4 x Gold, 1 x Silber).

Auch nach 1985 olympische Starts von Turnerinnen aus M-V

Drei weitere Turnerinnen aus Rostock konnten ebenfalls an olympischen Wettkämpfen teilnehmen: Christiane Thoms, die als Ersatz-Turnerin bei den Spielen 1988 in Seoul fungierte, als die DDR-Riege Dritte wurde, Kathleen Kern-Stark, die 1992 und 1996 für den DTB startete, und Jana Günther, die 1992 olympisch turnte. Zudem war die gebürtige Neubrandenburgerin Yvonne Pioch Teilnehmerin an den olympischen Turn-Wettkämpfen 1992. Die besten Turn-Nationen 1992 und 1996 waren das Nachfolge-Team der Sowjetunion, die „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS), und Russland. Die GUS errang 1992 in Barcelona neunmal Gold, fünfmal Silber, viermal Bronze und Russland 1996 in Atlanta dreimal Gold, zweimal Silber, dreimal Bronze. Andreas Wecker schaffte für die deutsche Turn-Mannschaft 1996 Gold am Reck.

Vor 70 Jahren: Eine Ludwigslusterin bei den Spielen

Und die gebürtige Ludwigslusterin Brigitte Kiesler turnte 1952 als Mitglied der westdeutschen Riege bei den Olympischen Spielen in Helsinki. Damals war die Sowjetunion mit 9 x Gold, 11 x Silber, 2 x Bronze Turn-Nation Nummer eins. Die beste Turnerin bzw. der beste Turner kam seinerzeit aus der Ukrainischen SSR: Maria Gorochowskaja mit 2 x Gold, 5 x Silber und Wiktor Tschukarin mit 4 x Gold, 2 x Silber.

… Turnsportliche Rand-Anmerkungen für M-V: Einer der erfolgreichsten Turn-Vereine in M-V der Gegenwart ist der Hanse-Turn-Verein in Rostock, der 2005 gegründet wurde. Auch die Turn-Abteilung der TSG Wismar, der Verein wurde 1961 gegründet, brachte in den letzten Jahren sehr ambitionierte Turn-Talente hervor.

Der älteste Turnverein in M-V, zugleich der älteste in ganz Deutschland, ist indes der TSV Friedland 1848. Elf Jahre später, 1859, hatten dann - wie erwähnt - auch die Schweriner ihren „turnerischen Verein“ – den Männer-Turn-Verein!

Erfolgreicher Turn-Trainer aus Schwerin: Der aus Schwerin stammende Jürgen Heritz betreute beim SC Dynamo Berlin unter anderem die bei Olympia erfolgreichen Karin Janz (Gold 1972 beim Sprung und am Stufenbarren) und Maxi Gnauck (Gold 1980 am Stufenbarren, auch Gold am Stufenbarren sowie am Boden bei den Wettkämpfen der Freundschaft 1984).

Unvergessen: Der 1869 im pommerschen Danzig geborene Alfred Flatow, Deutscher jüdischen Glaubens und Begründer der Jüdischen Turnerschaft, starb 1942 im KZ Theresienstadt, wohin er durch die Nationalsozialisten deportiert wurde. Alfred Flatow wurde 1896 Olympiasieger am Reck (Einzel) und in den Team-Wettkämpfen am Reck und am Barren (jeweils zusammen mit seinem im westpreußischen Berent geboren Cousin Gustav Felix Flatow, der 1945 im KZ Theresienstadt, wohin auch er deportiert wurde, verstarb).

  

M.Michels