Seoul 1988 - nicht alles war "Gold", was "glänzte"...
Kaum zu glauben, dass die XXIV.Olympischen Spiele der Neuzeit bereits fast 35 Jahre zurück liegen. Ein Jahr zuvor wurde noch der DDR-Staatsratsvorsitzende Honecker noch durch Bundeskanzler Kohl mit allen Ehren empfangen. Ein Jahr später begann die Wende im Ostblock und damit auch in der DDR.
Vor mehr als drei Jahrzehnten kämpften die beiden „Deutschländer“ noch getrennt um olympische Medaillen und Platzierungen. Russinnen sowie Russen bzw. Ukrainerinnen sowie Ukrainer wetteiferten - mit Athletinnen und Athleten weiterer 13 Sowjetrepubliken - freundschaftlich um Medaillen und gute Platzierungen verbunden im Team der UdSSR. Heute - undenkbar!
Damals fanden die Spiele in Ostasien, in Seoul/Südkorea, statt. Die Welt war in Bewegung. Michael Gorbatschow und seine neue Politik von Glasnost und Perestroika, angelegt um den real existierenden Sozialismus zu demokratisieren und um vielleicht doch noch die Grundlage für den „dritten Weg“ jenseits von „Beton-Kommunismus“ und „selbstgefälligem Kapitalismus“ zu finden.
Von Seoul 1988 zur Gegenwart
Letztendlich wurden die totalitären Regime im Ostblock – durch die Wirkung der Politik von Gorbatschow – in Europa, Asien, Afrika oder Lateinamerika nahezu hinweggefegt. Die Hoffnung auf eine neue, bessere Zukunft, auf eine sozialere und gerechtere Welt wuchs. Nicht alle, um nicht zu sagen nur wenige Wünsche und Hoffnungen der Menschheit haben sich seitdem erfüllt.
Auch 2022 toben mehr als 40 blutige Kriege und kriegsähnliche Auseinandersetzungen auf fast allen Kontinenten, insbesondere die Kriege in der Ukraine, im Jemen oder die Auseinandersetzung zwischen Armenien und Aserbaidschan bestimmen dabei ganz besonders die Schlagzeilen. Noch immer prägen Armut, Hunger und Elend den Alltag in den meisten afrikanischen und vielen asiatischen und südamerikanischen Ländern. Die Menschen flüchten dorthin, wo es vermeintlich sicher ist, vielleicht ein besseres Leben gibt – nach Europa, das schon längst nicht mehr ein Hort des Wohlstands, der Innovationen und des Fortschritts ist.
Der Terrorismus nahm und nimmt diabolische Ausmaße an. Finanzkrisen, Inflation, drohende Rezession bzw. Zunahme der Arbeitslosigkeit in vielen Welt-Regionen, negative soziale Entwicklungen, Bildungsmisere und auch die Bedrohung der Demokratie durch Extremisten von links sowie rechts, nicht gerade vorbildliche Demokraten und auch immense Dopingprobleme in einigen Sportarten – „Stichworte“, die nicht nur, aber auch, die Entwicklung in Europa zur Zeit reflektieren.
Erneut, wie schon 1988 im Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer und dem Niederreißen des Stacheldrahtes an der deutsch-deutschen Grenze, scheint wieder vieles in Bewegung zu sein. Der globale Monopoly-Kapitalismus ist nämlich ebenso wie der Stalinismus gescheitert.
Sorge ist angebracht. Angst darf gar nicht erst entstehen. Sie führt stets zu Destruktivität, Passivität, macht den Blick auf die Welt eindimensional. Doch wie sich die Welt entwickeln wird, hängt von jeder/jedem Einzelnen ab. In jedem Risiko liegt auch eine Chance, eine Chance zum Positiven.
Wer hätte schon im Olympia-Jahr 1988 geglaubt und gehofft, dass der totalitäre, menschenverachtende Stalinismus bis 1991 eine vernichtende historische Niederlage erleiden würde – durch Menschen, die für ihre Freiheit stritten, nicht durch Politiker mit Sonntagsreden.
Der Traum auf echte Freiheit zerplatzte nach 1989/90 schnell, aber das Aufbegehren der Menschen zwischen Kap Arkona und Sächsischer Schweiz bewies, dass weder Partei- noch Wirtschafts-Protagonisten die Mehrheit dauerhaft niederhalten können, mögen ihre „Macht-Mittel“ noch so groß sein.
Einer bleibt jedoch Sinnbild für den Aufbruch in eine anfangs hoffnungsvolle neue Zeit – und es ist ein Politiker – der bereits genannte und 2022 verstorbene Michail Gorbatschow. Mehr als 20 Jahre nach Glasnost und Perestroika kam dann der nächste Zusammenbruch: Der angelsächsische totalitäre Finanz-Kapitalismus erlitt 2007 ff. eine vernichtende Niederlage – die Gier vieler wirtschaftlicher und auch politischer „Eliten“ war zu groß.
Seoul 1988 und der Sport
Aber zurück zu Olympia 1988: Wie war es sportiv 1988 in Seoul?
Vor fast 35 Jahren drückte frau/man in Deutschland, auch sehr, sehr viele Sportfans östlich der Elbe, einem Boris Becker (Deutschland-West) genauso die Daumen wie für Rad-Ass Olaf Ludwig (Deutschland-Ost), man hoffte auf Schwimmer Michael Gross (Deutschland-West) und auf Schwimmerin Kristin Otto (Deutschland-Ost), man litt mit Jürgen Klinsmann, nachdem das (west-)deutsche Fußball-Olympiateam so unglücklich nach Elfmeterschießen im Halbfinale gegen Brasilien ausschied.
Man jubelte über den Olympiasieg des Schweriner Diskuswerfers Jürgen Schult genauso wie über das Olympiagold der Dressurreiterin Nicole Uphoff aus Duisburg. Man drückte Steffi Graf die Daumen – ihre Anhänger in Hamburg oder in München, aber ebenfalls ihre Anhänger in Rostock oder in Dresden. Man war euphorisch über das Gold des Rostocker Zehnkämpfers Christian Schenk und zeigte sich begeistert über den ersten Platz der Sport-Schützin Sylvia Sperber aus dem bayrischen Penzing.
Ein Fechterin imponierte (subjektiv) besonders
Ganz besonders freuten sich jedoch viele Sportfans in West und Ost mit drei leidenschaftlichen, sympathischen und auch sehr attraktiven Damen aus Tauberbischofsheim, über den Sieg der deutschen Florett-Fechterinnen Anja Fichtel, Sabine Bau und Zita Funkenhauser im Einzel und im Mannschafts-Wettbewerb (Zum Team gehörten auch Annette Klug und Christiane Weber.).
Wie der Reitsport, wie der Tennissport oder wie das Eiskunstlaufen besitzt gerade das Fechten dieses „Extravagante“, dieses „Elitäre“ im positiven Sinne und dieses „Reizvolle des `Unbekannten`“.
Sabine Bau war damals – 1988 – im Fechten, um es „unelitär“ auszudrücken, bereits ein „sportlicher Hit“, nachdem sie schon 1986 Einzel-Vize- Weltmeisterin im Florett-Fechten wurde. Sie war aber auch neben der Planche – und dieses Urteil sei einem „objektiven Auge“ gestattet – ein „echter Hingucker“, und was fast schon „beängstigend“ ist, auch ziemlich „helle“.
Die Fechterin Sabine Bau hatte nicht nur in „West-Germany“ eine große Fan-Gemeinde, auch zwischen Ostseeküste und Erzgebirge waren die Freunde des Fechtsportes von der sportiven Ausnahme-Erscheinung begeistert.
Rüdiger Mevius, der frühere Geschäftsführer des Stadtsportbundes Schwerin und einst Florett-Fechter, fieberte schon während der Spiele 1988 in Seoul mit den westdeutschen Fechterinnen und Fechtern, allen voran Sabine Bau, mit …
„Sabine Bau war eine begnadete Fechtsportlerin, die bei den sportlichen Großereignissen immer auf die Minute top-fit war. Man merkte bei ihr stets die Leidenschaft, die sie für ihren Sport entwickelte. Durch ihre vielen Erfolge und ihr sympathisches Auftreten hat Frau Bau sehr viel zur Popularität des Fechtsportes in Deutschland beigetragen. Sie ist jedoch nicht nur ein Vorbild für die jungen Fechtsportlerinnen bzw. –sportler, sondern meistert ebenfalls ihre beruflichen Herausforderungen als Medizinerin mit Bravour.
Bei den Olympischen Spielen 1988, bei denen ja auch die Schweriner Jürgen Schult (Diskuswerfen) und Andreas Zülow (Boxen) Gold gewannen, sorgte sie zusammen mit Anja Fichtel, Zita Funkenhauser, Annette Klug und Christiane Weber im Florett-Mannschaftswettbewerb für einen weiteren goldenen Höhepunkt aus damaliger deutsch-deutscher Sicht. Aus dem `Blickwinkel` von uns damaligen `Ost-Germanen`war es ein wenig frustrierend, dass der Fechtsport in der damaligen DDR im wahrsten Sinne des Wortes ein ziemliches `Mauerblümchen`-Dasein führte. Wir hatten wirklich gute Talente, die aber international kaum zum Einsatz kamen. Fechtsportler haben nun einmal ihren eigenen Kopf und lassen sich nicht so leicht biegen. Das wurde von der Sportführung und anderen Institutionen leider drastisch bestraft …”, so der ebenso leidenschaftliche frühere Fechter Rüdiger Mevius.
Mecklenburger und Vorpommern mit zahlreichen Medaillen 1988
Für Sportvereine in Mecklenburg und in Vorpommern gab es Gold und Medaillen durch die Kanu-Rennsportlerinnen Ramona Portwich und Anke von Seck (beide Rostock): Gold für Anke zusammen mit Birgit Fischer im Zweier-Kajak über 500 Meter und Gold auch für Anke sowie für Ramona zusammen mit Birgit Fischer und Heike Singer im Vierer-Kajak über 500 Meter.
Der Rostocker Christian Schenk siegte im Zehnkampf vor Torsten Voss (SC Traktor Schwerin). Gold und Silber über 800 Meter der Frauen sicherten sich Sigrun Wodars und Christine Wachtel (SC Neubrandenburg). Weitere Medaillen „Made in MV“ gingen an die Rostocker Turnerin Christiane Thoms (Team/Bronze, Ersatz-Turnerin mit Einsatz im Kampfrichter-Kurs), Diskuswerferin Diana Gansky, die gebürtige Rüganerin aus Bergen (Silber), Turner Ulf Hoffmann, in Neustrelitz geboren (Team/Silber), den Langstreckler Hansjörg Kunze (Rostock/5000 Meter/Bronze, 6.Platz/10000Meterr), an 4×400 Meter-Staffel-Läuferin Kirsten Emmelmann (auch Einsatz über 400 Meter-Einzel), die gebürtige Warnemünderin (Bronze), Siebenkämpferin Anke Behmer (Neubrandenburg/Bronze) und an 4×100 Meter-Staffel-Läuferin Silke Möller (Rostock/Silber).
Im Boxsport jubelten zwei Sportler vom SC Traktor Schwerin über Gold und Silber: Andreas Zülow gewann im Leichtgewicht und Andreas Tews wurde Zweiter im Fliegengewicht. Außerdem nahmen mit Torsten Schmitz (Halbmittelgewicht) und Rene Breitbarth (Bantamgewicht) noch zwei weitere Faustkämpfer vom SC Traktor Schwerin an Olympia 1988 teil.
Im Rudern holte die gebürtige Neubrandenburgerin Jana Sorgers Gold mit dem DDR-Frauen-Doppelvierer – im DDR-Herren-Doppelvierer, der Bronze errang, waren auch der gebürtige Schweriner Steffen Zühlke und der gebürtige Rostocker Steffen Bogs aktiv. Die gebürtige Wismarerin Kathrin Haacker wurde hingegen im DDR-Frauen-Achter vergoldet.
Am Schießstand konnte man M-Vler ebenfalls jubeln sehen: Der gebürtige Demminer Axel Wegner erwies sich im Sportschießen/Skeet am treffsichersten. Die Wittenberger Brüder Jens und Uwe Potteck war in Seoul ebenfalls im Schießsport aktiv - mit der Luftpistole (Jens) und mit der Freien Pistole (Uwe).
Ein guter Bekannter in M-V, der Segler Jochen Schümann, triumphierte zusammen mit Thomas Flach und Bernd Jäkel im Segeln/Soling. Auch Segler des SC Traktor Schwerin waren vor Ousan, dem Austragungsort der olympischen Segel-Wettbewerbe 1988, aktiv: Ekkehard Schulz/Jürgen Brietzke im 470er und Stefan Mädicke/Ulf Lehmann im Flying Dutchman. Susanne Theel, in Ribnitz-Damgarten geboren, zeigte hingegen in der 470er Klasse bei den Frauen ihr Können.
Auch auf der Judo-Matte war M-V bei der Medaillen-Vergabe dabei. Der gebürtige Schweriner Torsten Brechot belegte Platz drei im Halbmittelgewicht.
Schwimmsportliches Edelmetall gab es "für M-V" 1988 auch: für den Rostocker Lars Hinneburg mit Bronze über 4 x 100 Meter Freistil (Bronze) bzw. Silber über 4 x 200 Meter Freistil (Vorlauf-Einsatz). Der gebürtige Güstrower Patrick Kühl konnte seinerzeit über Silber - 200 Meter Lagen - jubeln. Sven Lodziewski, der spätere Arzt am Universitätsklinikum Greifswald und Mitglied des Greifswalder HSG-Teams, schaffte in Seoul zudem Silber in der 4 x 200 Meter-Freistil-Staffel der DDR.
Im Handball lief es für vier Spieler des SC Empor Rostock so "la la" - Frank-Michael Wahl, Holger Schneider, Matthias Hahn und Rüdiger Borchardt wurden mit der DDR Siebenter. Platz fünf erkämpften hingegen im Frauen-Volleyball Dörte Stüdemann bzw. Ute Steppin vom SC Traktor Schwerin und die beiden gebürtigen Rostockerinnen Kathrin Langschwager und Brit Wiedemann mit der DDR-Auswahl.
Olympische Nominierungen hatten 1988 aus MV-Sicht außerdem im Kanu-Rennsport Torsten Krentz bzw. Thomas Zereske (beide SC Neubrandenburg), in der Leichtathletik Katrin Krabbe (SC Neubrandenburg/200 Meter), die gebürtige Neubrandenburgerin Cornelia Oschkenat (100 Meter Hürden), Grit Breuer vom SC Neubrandenburg (Vorlauf 4 x 400 Meter, DDR-Staffel dann mit Bronze im Finale), Ines Müller (SC Empor Rostock/Kugelstoßen), Gerald Weiß (SC Traktor Schwerin/Speerwerfen) und im Ringen der gebürtige Grevesmühlener Olaf Koschnitzke (Griechisch-Römisch/Halbschwergewicht). Verletzungsbedingt konnte der Stralsunder Gewichtheber Andreas Behm, obwohl nominiert, in Seoul nicht starten. Ersatz-Starterin bzw. Ersatz-Starter im Kanu-Rennsport waren in Seoul 1988 Katrin Borchert und Heiko Zinke (beide SC Neubrandenburg).
Ein Diskuswerfer des SC Traktor Schwerin schrieb in Seoul in dreifacher Hinsicht olympische Geschichte – Jürgen Schult. Einerseits gewann der Athlet vom SC Traktor Schwerin nicht nur mit dem damaligen olympischen Rekord von 68,82 Meter, andererseits wurde er an jenem für ihn goldenen ersten Oktobertag 1988 der letzte Olympiasieger der DDR – zwei Jahre später war der „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ von der politischen Landkarte verschwunden. Zudem ist Jürgen Schult mit dem 1988er Gold der (vorerst) letzte Schweriner Leichtathletik-Olympiasieger.
Last but not least: In der westdeutschen Feldhockey-Auswahl spielte ein gebürtiger Mecklenburger. Ulrich Hänel, 1957 in Plau am See geboren, gewann mit der westdeutschen Mannschaft wie schon 1984 Silber.
Bei den 8.Paralympics, ebenfalls in Seoul, vom 15.Oktober 1988 bis 24.Oktober 1988 war dann ebenfalls eine Vorpommerin in der westdeutschen Mannschaft aktiv: Martina Willing, 1959 in Pasewalk geboren, schaffte Silber im Kugelstoßen.
Olympische Medaillen in 137 Wettbewerben
Zwischen 17.September und 2.Oktober 1988 wurden Medaillen in 237 Wettbewerben plus den Entscheidungen in den olympischen Demonstrations- und Vorführsportarten 1988 Taekwondo, Baseball, Bowling, Badminton, und Wheelchair-Leichtathletik und Frauen-Judo vergeben. Die Konkurrenzen waren stark besetzt – insgesamt nahmen rund 8400 Athletinnen und Athleten aus 159 Nationen teil. Von den bedeutenden Sport-Ländern boykottierten nur Nordkorea, Kuba und Äthiopien die Spiele. Am Ende waren – wie gewohnt – die UdSSR, die DDR und die USA vorn, gefolgt von Südkorea und Westdeutschland.
Marko Michels