Paralympics in Paris - Sportlerehrung in Schwerin...

Nach Olympia ist vor Paralympia. So war es, so ist es seit 1960. Und auch 2024 sollte es nicht anders sein. Zweieinhalb Wochen nach dem olympischen Finale am 11.August 2024 hieß es zwischen 28.August und 8.September "Vers les lieux paralympiques ! Complet! Aller!" (Auf die olympischen Plätze! Fertig! Los!). 

Auch M-V mittendrin

4500 Athletinnen und Athleten aus 169 Teams wetteiferten in Paris um 549 paralympische Goldmedaillen und M-V war nicht nur dabei, sondern mittendrin.

Sieben "für M-V"

Ein Septett mit MV-Background war in der französischen Metropole am Start - ein Septett, das bei vergangenen Paralympics auf 30 Medaillen, darunter 9 Goldene, kam. Den Löwinnen-Anteil daran hatte die gebürtige Pasewalkerin und Leichtathletin in Cottbusser Diensten, Martina Willing, die nach 1990 bei sage und schreibe acht (plus Nummer neun in Paris) Sommer-Paralympics und sogar bei einer Winter-Ausgabe (1994 in Lillehammer) startete. Vierzehn Medaillen erkämpfte Martina, darunter dreimal Gold. Ihre Stationen waren 1992 Barcelona, 1994 Lillehammer, 1996 Atlanta, 2000 Sydney, 2004 Athen, 2008 Peking, 2012 London, 2016 Rio de Janeiro, 2021 Tokyo und nun 2024 Paris. Phänomenal!

Auch Ramona Brussig, die Judoka vom PSV Schwerin, ist eine echte paralympische Dauerbrennerin bei Paralympics: 2004 Athen (Gold), 2008 Peking (Silber), 2012 London (Gold), 2016 Rio de Janeiro (Silber) und 2021 Tokyo (Rang fünf). Ihre Schwester Carmen, die bis 2021 ebenfalls für den PSV Schwerin startete und seit 2022 für die Schweiz antritt - auch bei den Paralympics 2024 - kommt auf die nicht minder beeindruckende Para-Judo-Bilanz von Bronze (2008), Gold (2012), Silber (2016) und Rang fünfzehn (2021). 

Gebürtige Schwerinerin Vanessa Low mit zweimal Para-Gold vor Paris

Ähnlich großartige Erfolge schaffte die gebürtige Greifswalderin Verena Schott. Die Schwimmerin nahm bis 2024 an den Paralympics 2012, 2016 und 2021 teil und errang vier Medaillen. Auf immerhin drei Medaillen kam bis 2024 die Leichtathletin, gebürtige Schwerinerin und seit knapp sieben Jahren Wahl-Australierin Vanessa Low mit zweimal Gold, einmal Silber - bei drei Teilnahmen 2012, 2016 und 2021. Station Nummer vier folgte auch 2024. Auf jeweils zwei Teilnahmen kamen bis Paris 24 kamen die gebürtige Neubrandenburgerin Lindy Ave (für Greifswald startend/Leichtathletik) und der gebürtige Rostocker Marcus Klemp (Rudern). Marcus war schon 2008 dabei und dann 2021. Lindy feierte ihre paralympische Premiere 2016 und holte Gold und Silber 2021 in Tokyo. 

Nicht zu vergessen bei dieser Aufzählung sei der paralympische Pilot im 1000 Meter Zeitfahren Robert Förstemann (PSV Rostock), der mit dem sehbehinderten Para-Radsportler Thomas Ulbricht, in Salzwedel geboren, 2024 ein Duo bildete. In Tokyo war Robert noch mit dem Wahl-Schweriner Kai-Kristian Kruse auf dieser Distanz bestens unterwegs - die Beiden wurden 2021 Vierte.

Aber wie lief es nun für die Genannten 2024 in der französischen Metropole?!

Gold für Vanessa und Bronze für Robert und Lindy

Im Para-Bahnradsport kam Robert Förstemann als Pilot zusammen mit Thomas Ulbricht zu Bronze im 1000 Meter-Tandem-Zeitfahren, im Verfolgungsrennen belegten beide Rang elf. Marcus Klemp ruderte - trotz Corona-Erkrankung im Frühjahr und erlittener Rippen-Fraktur während der Trainingsvorbereitungen für Paris - auf Rang eins im B-Finale der Herren-Einer-Entscheidung, was den Gesamtrang sieben bedeutete. Lindy Ave sprintete - nach ihrem Mutterglück 2022 und der damit verbundenen Wettkampfpause - über 400 Meter zu Bronze und über 100 Meter auf Gesamtrang elf. Bei ihren fünf Starts im paralympischen Schwimmbecken wurde Verena Schott Zwölfte (50 Meter Freistil), Fünfte (100 Meter Brust), Zehnte (50 Meter Schmetterling), Siebente (200 Meter Lagen) und ebenfalls Siebente (100 Meter Rücken) - beachtliche Leistungen der Greifswalderin, deren paralympische Vorbereitung durch einen hartnäckigen Infekt massiv beeinträchtigt wurde.

Und auch die paralympische Leichtathletik-Legende Martina Willing konnte sich wieder in der absoluten Spitzenklasse behaupten - Rang sechs für Martina im Speerwerfen stellt ein wirklich großartiges Resultat dar. Auch die "Schweriner Wahl-Australierin" Vanessa Low konnte wieder überzeugen - nach 2016 (Damals noch für "Team D"!) bzw. 2021 (Schon für "Down Under"!) gab es das dritte Weitsprung-Gold und natürlich - wie schon in Rio 2016 und Tokyo 2021 - mit Weltrekord.

Zwillingsschwestern Brussig auch 2024 auf der Tatami

Positive Überraschungen waren hingegen bereits die erfolgreichen Qualifikationen von Ramona und Carmen Brussig für das paralympische Judo-Turnier. Nach Tokyo 2021 wollten beide eigentlich ihre sportliche Karriere beenden... Doch sie entschieden sich fürs Weitermachen. Allerdings: In Paris konnten die Zwillingsschwestern nicht in den Medaillenkampf eingreifen. Carmen, als Wahl-Schweizerin, musste in der Klasse bis 48 Kilogramm zwei Niederlagen hinnehmen (gegen die Chinesin Li Liqing und Isabell Thal / Budoka Höntrup) und erreichte Rang sieben. Und Ramona (PSV Schwerin) unterlag gleich zum Auftakt der Türkin Döndü Yesilyurt, wurde im Gesamtergebnis Neunte.

Maurice Schmidt (SV Böblingen), Schützling des Rollstuhl-Bundestrainers Alexander Bondar aus Rostock, gewann zudem eine Medaille - Gold im Säbelfechten. Der von der Rüganer Speerwurf-Weltmeisterin 2009 und Olympia-Zweiten 2004, Steffi Nerius, betreute Weitspringer Markus Rehm (TSV Bayer 04 Leverkusen) wurde ebenfalls Erster.

China und USA am erfolgreichsten - Team D mit durchwachsener Bilanz

Alles in allem: Grandiose Leistungen - trotz Handicaps. Das gilt für das Team D generell, auch wenn längst nicht alle "Blütenträume" in Paris für Schwarz-Rot-Gold reiften. China, Großbritannien, die USA, das limitierte Team der Neutralen Athleten (aus Russland/Weißrussland), die Niederlande, Brasilien, Italien, Australien, die Ukraine, Frankreich und Japan waren eindeutig besser.

Bei Zusammenfassung der Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 in Paris ergibt sich ein eindeutiges Kräfteverhältnis: China führt mit 311 x Edelmetall, darunter 134 x Gold, vor den USA mit 231 x Edelmetall, darunter 76 x Gold.
Und "Team D"?! Das deutsche Paralympics-Team 2024 gewann 2024 (49) zwar sechs Medaillen mehr als 2021 (43), jedoch weniger Goldmedaillen (2021: 13 / 2024: 10). Und: In Paris 2024 gab es zehn Wettbewerbe mehr als in Tokyo 2021 (2024: 549 und 2021: 539). 

Ein weiterer Aspekt zur Bewertung des deutschen Teams 2024: Russische und weissrussische Para-Athletinnen und Para-Sthleten durften vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges nur in sehr begrenzter Anzahl an den Start gehen. In Tokyo hatte das russische Team 118 Medaillen errungen, darunter 36 x Gold. Weissrussland kam 2021 auf 7 Medaillen, darunter 5 x Gold. Das arg reduzierte Team der Neutralen Athleten (aus Russland/Weissrussland) errang in Paris zumindest 71 Medaillen (26 x Gold). 

Vom Ausschluss und Fernbleiben vieler russischer und weissrussischer Para-Athletinnen/-Athleten profitierte Deutschland also nur marginal. Das bedeutet: Der Abwärtstrend im paralympischen Sport ist keineswegs endgültig aufgehalten, sondern dieser Trend wurde nur - aus genannten Gründen - abgebremst. Zufriedenstellen kann daher die paralympische Bilanz von "Team D", wie schon die olympische Bilanz, keineswegs.

In der Gesamt-Bilanz der Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 kommt "Team D" auf 82 Medaillen, darunter 22 Goldene. Die kleinen Niederlande waren diesbezüglich wesentlich erfolgreicher: Bei den Olympics und Paralympics 2024 schafften die "Oranjes" 90 Medaillen, darunter 42 x Gold...

Müssen es immer Medaillen sein?!

Aber ganz offen: Müssen eigentlich Medaillen und vordere Platzierungen, gleich ob bei Olympia oder Paralympia, ob bei World Games (den Weltspielen in den nichtolympischen Sportarten, ob bei Weltuniversitätsspielen (im Studentensport) oder bei WM/EM her, um das "Selbstbewusstsein" einer Nation zu stärken oder gewisse "Vorbildfunktionen" auszuüben.

Ist es nicht wichtiger, ein volksnahes politisches System mit einer starken Wirtschaft, mit innovativem Schöpfergeist, mit geförderter Kreativität und sozial orientierten Komponenten zu "besitzen", als Medaillen zu erkämpfen. Zweifellos ist es durchaus erfreulich zu sehen, dass deutsche Athletinnen und Athleten, ob mit oder ohne Handicaps, mit der Weltspitze mithalten können.

Wohin bewegt sich der Leistungssport?!

Nur: Was nützen Fußballer, die WM-Titel einheimsen, die "Champignonsliga" gewinnen? Genau: NICHTS! Der mehr oder minder "große Fußball-Freak" sitzt im Stadion oder vor der Glotze. Passiv. Oft wenig konstruktiv. Ähnliches gilt für andere hoch gejazzte Sportarten a la Profiboxerei, American Football oder Formel 1, wo im Kreis auf künstlichen "Rennstrecken" gefahren wird, die für den normalen Verkehr zumeist völlig unbrauchbar sind.

Nein. Da haben engagierte Pflegerinnen, Krankenschwestern, Bauarbeiter, Kassiererinnen, Handwerkerinnen/Handwerker, Mittelständlerinnen/Mittelständler, integre Wissenschaftler, fleißige Pädagogen, die Sport nur als Ausgleich zu ihrer gesellschaftlich wirklich relevanten Arbeit treiben, mehr Bedeutung für die Stärkung eines Selbstbewusstseins, den Zusammenhalt einer Gesellschaft und sind zudem echte Vorbilder, ohne Produkt globalen Marketings zu sein.

Das heisst aber keineswegs, dass Athletinnen und Athlete bei Olympia und Paralympics keine Vorbilder sind. Das stimmt nun wahrlich nicht. Was eine Martina Willing seit 35 Jahren trotz harter Schicksalsschläge sportlich leistet, verdient allerhöchsten Respekt. Ebenso die Leistungen einer Vanessa Low, einer Ramona Brussig, einer Lindy Ave und vieler anderer mehr. Nicht wenige Sportlerinnen und Sportler - jedenfalls in den meisten olympischen und paralympischen Sportarten - müssen in der Tat einer halbwegs geregelten Arbeit nachgehen, ein Studium bzw. eine Lehre absolvieren. Natürlich - anders ließe es sich nicht mit dem Leistungssport verbinden - haben sie dazu mehr Zeit, gibt es die eine oder andere Ausnahmeregelung.

Aber: Dieses Hochjubeln von hoch dotierten Fußball-, Basketball- oder Football-"Stars", von Rennfahrern, vermeintlichen "Sportstars" allgemein  durch angebliche "Experten", "Sportjournalisten" und Massenmedien geht dem echten Sportfan dann doch ziemlich "auf den Trichter". Dazu dieses penetrante Fordern mancher Sportlerinnen und Sportler nach exorbitanten "Prämien" für ihre sportlichen Leistungen. Wenn das die Zukunft des Sportes an sich darstellt, dann sollte man WM, Kontinentalmeisterschaften, Olympia und Paralympics einstampfen. 

Weniger ist eigentlich mehr...

Was wird zudem ständig gejubelt über "spektakuläre" Eröffnungsfeiern / Abschlusszeremonien! "Wird es das nächste Mal zu toppen sein?!", fragen sich irgendwelche Sportkommentatoren. Was für eine sinnfreie Frage! Was soll der Quatsch! Authentische, bescheidene Zeremonien reichen völlig - mit Lokalkolorit und der Einbindung der Menschen vor Ort. Mehr nicht! 
Alles andere ist Marketing, Gigantismus, widerliches Profitum und Politik, die in den Stadien und Arenen EIGENTLICH nichts zu suchen hat. Die Olympischen Spiele der Antike gingen letztendlich daran zugrunde - durch zu viel Politik, zu viel monetäre Verschwendung, zu viel Betrug, zu viel Götzenverehrung und zu wenig Nutzen für die Allgemeinheit.

Die Olympischen und Paralympischen Spiele sind keine Party, wie zahlreiche Massenmedien gern suggerieren, sondern SOLLTEN ein Fest des fairen Kräftemessens, des friedlichen Miteinanders, der Völkerverständigung sein, ein Fest, zu dem - auch hier EIGENTLICH - die ganze Welt geladen sein sollte!

Von allem waren die Spiele 2024 um Lichtjahre entfernt. Nur wer sich blenden lassen wollte, jubelte!

Schauen wir mal, wie es weiter geht, ob weiterhin "so fröhlich" am olympisch-paralympischen Rad gedreht wird. Eines steht Anfang September 2024 fest: Die Welt ist seit Paris keine bessere geworden. Im Gegenteil!

... Nicht nur am Rande bemerkt: Kurz vor Ende der Paralympics 2024 in Paris wurden "anderswo", in Schwerin, am 7.September die erfolgreichsten Athletinnen und Athleten der Landeshauptstadt M-V des Jahres 2023 geehrt. 217 Sportlerinnen und Sportler Schwerins wurden dabei ausgezeichnet. Und es gab 2023 aus Schweriner Sportsicht ohnehin viel Grund zur Freude. So wurde 120 x Edelmetall durch Athletinnen/Athleten aus Schwerin bei nationalen Titelerkämpfen erkämpft. Zudem gab es 29 x Edelmetall bei WM und EM für Schwerin 2023. Besondere Ehrungen wurden dem Hochspringer Theo Hellwig (SSC) - erhielt den Nachwuchsförderpreis - und Johannes Prothmann (SV Grün-Weiß Schwerin) - er wurde Trainer des Jahres 2023 - zuteil. Auch Para-Judoka Ramona Brussig, als EM-Dritte 2023, wurde natürlich gebührend gelobt - sie war allerdings nicht vor Ort in Schwerin, sondern bei den Paralympics in Aktion!

Alles in allem: Auch 2023/24 bewies Schwerin den "Status" als Sportstadt. Denn: Rund 19.000 Mitglieder zählen die 103 Sportvereine der Stadt. Viele betrachten den Sport dabei nicht unter leistungssportlichen Aspekten, sondern eher als Ausgleich zum eigentlichen Beruf und zur Gesunderhaltung! Und so sollte es auch sein.

 Marko Michels