Europameisterschaften in einem Olympiajahr... In der Vergangenheit waren es eher Vorbereitungswettkämpfe auf den eigentlichen Jahreshöhepunkt, die olympischen Wettkämpfe. Das hat sich jedoch extrem verändert, gelten diese doch mittlerweile als wichtige Standortbestimmungen, als echte Kräftetests und haben einen deutlich höheren sportlichen Stellenwert erlangt.
Besonderer Blick auf den Deutschland-Achter
Das gilt insbesondere auch für die Europameisterschaften im Rudersport, die am letzten April-Wochenende 2024 in Szeged stattfinden. Die Blicke waren dabei - nicht nur, aber ganz besonders - auf "das Flaggschiff" des Deutschen Ruderverbandes, den Deutschland-Achter, gerichtet. Gerade auch aus M-V-Sicht, denn mit dem gebürtigen Rostocker Hannes Ocik, Jahrgang 1991, für die Schweriner RG startend, und mit dem gebürtigen Malchiner Max John, Jahrgang 1997, für den Olympischen Ruder-Club von 1956 Rostock startend, waren auch zwei MV-Ruderrecken mit an Bord.
Kurzer olympischer Zyklus
Hinzu kommt, dass der coronabedingte, kurze Olympia-Zyklus - Tokyo 2020 fand ja durch die Pandemie erst ein Jahr später statt und Paris 2024 steht drei Jahre später schon "vor der Tür" - für den erfolgsverwöhnten Deutschland-Achter nicht besonders toll verlief. Medaillenlose WM und EM 2022 und 2023. Den Ton gab andere an. Die Briten sicherten sich die WM-Titel 2022 in Racice und 2023 in Belgrad wie auch die EM-Titel 2022 in Oberschleißheim und 2023 in Bled. Edelmetall sicherten sich bei erwähnten WM und/oder EM zudem Niederländer, Rumänen, Italiener und Australier. Der Deutschland-Achter landete dabei oft "unter ferner liefen".
Neue Impulse dank Hannes
Das hat sich mit der Rückkehr von Schlagmann Hannes Ocik, der nach Olympia 2021 in den Skullbereich wechselte, zurück in den Achter 2024 jedoch deutlich geändert. Es ist wie der "Toni-Kroos-Effekt" in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Der Fußball-Weltmeister von 2014, in Greifswald geboren, sorgte mit seiner Rückkehr ins deutsche Team 2024 (Rücktritt 2021) auch wieder für einen "neuen (Erfolgs-)Wind". Mitunter müssen es eben die Erfahrenen richten...
Und Erfahrung hat Hannes Ocik ohnehin - besonders in Sachen Erfolge im Elite-Bereich: siebenmaliger Achter-Europameister zwischen 2013 und 2020, WM-Gold im Achter 2017, 2018 und 2019. Und zweimal Olympia-Silber 2016 und 2021 "oben drauf". Bereits 2009 hatte er mit dem deutschen Junioren-Achter WM-Gold geholt.
Schon beim ersten Weltcup 2024 Bronze, nun EM-Silber
Bereits beim ersten Weltcup Mitte April in Varese konnte mit Hannes Ocik der Deutschland-Achter wieder in die Erfolgsspur zurückfinden - es gab Bronze. Aber ein echter Härtetest waren nun die EM in Szeged, wobei sogar die Dauer-Sieger aus Großbritannien in ärgste Bedrängnis gerieten. Der Deutschland-Achter lieferte den Briten einen beherzten Kampf und wurden mit gerade einmal einer halben Bootslänge auf Rang zwei verwiesen. Da geht also etwas in Richtung Olympia in Paris!
Zuversicht für Kommendes
Die nächsten Weltcups in Luzern Ende Mai und in Poznan Mitte Juni werden endgültig Aufschluss darüber geben, wo der Deutschland-Achter wirklich steht, denn sowohl in Luzern als auch in Poznan wird die komplette Weltspitze im Achter dabei sein, also auch Australier, Neuseeländer, Amerikaner und Kanadier - neben den Europäern.
Die deutschen Achter-Ruderer können allerdings zuversichtlich die nächsten Wettkämpfe bestreiten. Das sieht auch Hannes Ocik so. Nach seiner Meinung habe das Bahnverteilungsrennen das Achter-Team noch einmal wachgerüttelt - gerade im Hinblick darauf, in welchen Dingen das Team hart zu sich selbst sein müsse. Zudem habe es der Gegenwind ebenfalls nötig gemacht, noch einmal einen Schritt aufeinander zuzugehen. Dabei habe die schwierige Außenbahn seines Erachtens dem Deutschland-Achter sogar gutgetan, weil das Team damit sein Ding machen konnte. Insgesamt war Hannes Ocik mit den drei EM-Tagen in Szeged sehr zufrieden. So sei er mit der Entwicklung des Teams sehr zufrieden. Das gute Resultat in Szeged sorge nunmehr dafür, das es erst einmal Bock mache, nächste Woche wieder ins Training zu gehen und dann nicht zuletzt zur Traditionsregatta nach Luzern.
Apropos Tradition: Die Schweriner Rudergesellschaft von 1874/75 feiert im Juli ihren 150.Geburtstag. Im gleichen Monat beginnen dann auch die Olympischen Spiele in Paris. Hannes Ocik ist dann mit dabei - wie auch Max John.
Rudersportliche EM-Erfolge und EM-Jubiläen
Überhaupt feiert der Ruder-Sport - in Sachen EM - Jubiläen. Vor 70 Jahren, bei den EM 1954 in Amsterdam, wurden die ersten EM für Frauen im Rudern ausgetragen, nachdem es 1951 in Macon, 1952 in Amsterdam und 1953 in Kopenhagen erste europäische Test-Rennen fim Frauen-Rudern gegeben hatte. 1954 gingen alles fünf EM-Titel im Frauen-Rudern an die Sowjetunion.
Seit 1893 - Premiere war auf auf dem Lago d`Orta in Italien - werden Ruder-EM veranstaltet. Mit Blick auf den Herren-Achter gab es einige Höhepunkte aus deutscher und mecklenburgisch-vorpommerscher Sicht. 1913 gab es den ersten EM-Titel für die Deutschen, der zweite folgte 1938 - bis 2024 folgten sechzehn weitere. Nach dem zweiten Weltkrieg schaffte ein deutscher Achter wieder 1959 Gold - auch dank des gebürtigen Tutowers Karl-Heinrich von Groddeck und des gebürtigen Neubrandenburgers Hans-Jürgen Wallbrecht. Von Groddeck erkämpfte 1963 erneut EM-Gold - wieder zusammen mit Wallbrecht und dem gebürtigen Neustrelitzer Klaus Aeffke. Wallbrecht sicherte sich mit deutschen Achtern auch 1964 und 1965 Gold, ebenso wie Aeffke.
Erfolge auch für einige MV-Achter-Recken in der EM-Historie
Der goldene DDR-Achter 1969 war auch ein Highlight aus MV-Sicht, denn es handelte sich fast ausschließlich um ein Team des ASK Vorwärts Rostock mit Manfred Wiesner, Horst Walter, Klaus Liefke, Rolf Zimmermann, Volker Thurow, Wolfgang Wüst, Klaus Bärwald und Wolfgang Wilde - dazu der Dieter Schubertvom SC Einheit Dresden. Im silbernen DDR-Achter von 1971 waren unter anderem der gebürtige Rostocker Reinhard Gust und der gebürtige Bützower Eckhard Martens dabei. Und im goldenen DDR-Achter jubelten u.a. Werner Klatt, Karl-Heinz Prudöhl, Ulrich Karnatz und Karl-Heinz Danielowski (alle ASK Vorwärts Rostock). Nach der Wiedereinführung der Ruder-EM, die zwischen 1974 und 2006 pausierten, hatten dann Hannes Ocik 2013, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019 und 2020 und der gebürtige Bad Doberaner Felix Drahotta, der einige Jahre auch für den Rostocker Ruder-Club von 1885 ruderte, 2013, 2014, 2015 und 2016 europameisterliche Gold-Momente.
Und hoffentlich gibt es bei der olympischen Achter-Regatta der Herren 2024 erneut Grund zum Medaillen-Jubel aus MV-Sicht...
M.Michels