Interview mit Ruderer Max John vom Olympischen Ruder-Club in Rostock

Olympia 2024 ist schon "einige Tage" vorbei. Große Diskussionen werden geführt - angesichts der deutschen Medaillenflaute. Es wird von "Versagen" gesprochen. Gab es das aber wirklich - dieses "Versagen". Jedenfalls nicht bei den Athletinnen und Athleten. Wenn - dann trifft es auf die Sportpolitik wie Sportbürokratie gleichermaßen zu. Zu wenig gute Trainer?! Zu wenig Geld?! Zu wenig Innovationen?! Eigentlich ist genügend Geld "im System".

Nur: Es kommt nicht bei denjenigen an, die es wirklich brauchen und verdient haben: den Athletinnen und Athleten, den Trainerinnen und Trainern, den Übungsleiterinnen bzw. Übungsleitern und den sportiven Ehrenamtlichen, die nach einem acht- bis zehnstündigen Arbeitstag in ganz anderen Arbeitsbereichen, außerhalb des Sportes, das verrichten sollen, wo "der Staat" versagt - Kinder und Jugendliche von der Straße zu holen und sie für Sport/Bewegung zu begeistern. Maximal, wenn überhaupt, gibt es eventuell dafür ein Taschengeld.

Sind dann die Kids/Teens wirklich talentiert, gestaltet sich die Förderung schwierig. Viel Bürokratie gilt es zu schultern, oftmals noch erschwerend analog, also viel "Formularitis". Zig Verordnungen und Bestimmungen, die meisten davon von realitätsfremden unsportiven Tagträumern am Schreibtisch konzipiert, sorgen dafür, dass sich Trainer/Übungsleiter mit viel Papierkram beschäftigen müssen, statt sich der intensiven Betreuung der Athletinnen/Athleten widmen zu können.

Es gibt hierzulande kaum internationale Trainingsgruppen, obwohl doch auch die derzeitige Bundesregierung eine multikulturelle Gesellschaft anpreist. Nur: Darunter verstehen diese etwas gänzlich anderes als die Menschen hierzulande. Zu Recht monierte das leichtathletische Sprint-Ass Gina Lückenkemper: "Wie sollen wir besser werden, wenn wir nicht mit den Besten trainieren (dürfen)?"

Ein anderes Sprint-Ass - auf der Rad-Bahn - die 24jährige Lea Sophie Friedrich aus Dassow überzeugte in Paris beeindruckend. Mit Emma Hinze und Pauline Grabosch fuhr sie im Teamsprint Weltrekord, stellte zudem im Einzelsprint (200 Meter) einen neuen Weltrekord auf. Der Lohn: Bronze und Silber. Die einzigen Medaillen für das Radsport-Land Deutschland. Medien, Funktionäre und Politiker zogen lange Gesichter, die Mundwinkel fielen nach unten. Die herausragenden Leistungen auch des deutschen Rad-Teams wurden nicht richtig gewürdigt, da man ja insbesondere auf Gold fixiert war. Doch wie sagte schon ein weiser Apachen-Häuptling: "In der Gier nach dem Gold werden die Bleichgesichter in ihr Verderben laufen." Zumindest die gute olympische Laune können derartige Funktionäre und Sportpolitiker verderben...

Andere sind halt eben noch besser geworden. Es gibt nicht mehr die Dominanz der "Großen Vier" zwischen 1964 und 1990, der SU, der USA, von Deutschland-Ost und Deutschland-West. Schon damals waren die vermeintlich Großen eher klein - und auch die USA haben gegenwärtig extreme Probleme im Hochleistungssport, profitieren davon, dass einige typisch amerikanische Sportarten olympisch sind.

Die MV-Farben im hingegen traditionell olympischen Rudersport vertrat Max John vom Olympischen Ruder-Club von 1956 Rostock, der mit dem Deutschland-Achter auf Rang vier kam - hinter Großbritannien, den Niederlanden und den USA.

Für den Deutschen Ruder-Verband gab es in Paris  immerhin zwei Medaillen - Gold im Einer durch Oliver Zeidler und Bronze für den Frauen-Doppelvierer. Am Ende holten 15 Länder die olympischen Ruder-Medaillen 2024. Die vierzehn Goldmedaillen teilten sich acht Nationen, wobei die Niederlande, Großbritannien, Rumänien und Neuseeland am besten abschnitten.

Wie beurteilt nun Max John, Jahrgang 1997, in Malchin geboren, Olympia 2024?!

Max John über Olympia 2024, die persönliche Bilanz, die Ergebnisse im deutschen Ruder-Team, die „typisch“ deutschen Diskussionen zu den olympischen Ergebnissen und neue Ziele

Ich habe auch `Bock` auf L.A. 2028!“

Frage: Max, Olympia 2024 ist abgehakt. Wie lautet Dein persönliches Resümee?!

Max: Mit ein paar Tagen Abstand zu den Spielen kann ich ein sehr positives Resümee ziehen. Es war ein unfassbar beeindruckendes Erlebnis, wie ein kurzzeitiges Leben in einer komplett anderen Welt. Alles war völlig anders als im normalen Leben, man wird ganz anders behandelt und ist dennoch unter „Seinesgleichen“, also unter Sportlerinnen und Sportlern. 

Gleichzeitig spürte man bei allen eine gewisse Anspannung auf die bevorstehenden Wettkämpfe. Manche trugen es mehr nach außen, manche weniger. Einige agierten mehr introvertiert, also waren sehr vorsichtig und zurückhaltend, andere wiederum sehr extrovertiert, die wollten die olympische Stimmung zelebrieren.

Ich persönlich war auch sehr fokussiert – ein erfolgreicher Wettkampf stand für mich im Vordergrund. Über den vierten Platz war ich zunächst ziemlich enttäuscht. Es war unmittelbar beim Zieleinlauf ein ganz komisches Gefühl.

Die "Zielsirene" hatte getönt – und dann war es vorbei. Das ganze harte Training der letzten drei Jahre war damit Vergangenheit, die so erhoffte Medaille weg, die ganze intensive Vorbereitung plötzlich „vergessen“. Bei mir gab es ein ganz großes Gefühl der Enttäuschung und der Leere. Ich bin da ehrlich: Es sind auch Tränen geflossen, weil ich nicht wusste, wie ich das Ganze verarbeiten sollte.

Aber mit dem Abstand von fast zwei Wochen kann ich sagen, dass ich, dass wir als Achter-Team mit dem Ergebnis leben können und leben müssen. Letztendlich haben wir mit Rang vier besser abgeschnitten, als viele wohl vor Paris erwartet hatten. Nach einigen Querelen im Vorfeld, den bekannten personellen Wechseln können wir mit Rang vier schon zufrieden sein, zumal wir einige Boote, die in der Saison besser oder zumindest vom Leistungsniveau ähnlich waren, hinter uns ließen.

Frage: Wie beurteilst Du die Resultate im Rudersport - sowohl bei den Frauen als auch bei den Herren - aus deutscher Sicht? Wie war das Miteinander im deutschen Ruder-Team?

Max: Wir hatten fast ausschließlich Finalteilnahmen der qualifizierten deutschen Boote, was schon sehr, sehr stark ist. Der Frauen-Doppelvierer beeindruckte mit Bronze, Olli Zeidler, seit Jahren international der erfolgreichste und beständigste Einer-Ruderer, holte verdientermaßen Gold. Im Frauen-Einer überzeugte Alexandra Föster, die auch ihr überragendes Können bei der U 23-WM Mitte August mit Gold demonstrierte – mit Rang eins im B-Finale, was Gesamtrang sieben bedeutete. Der Doppelvierer der Herren hatte etwas Pech, konnte aber einen guten fünften Platz belegen. Und an der Weltspitze dran sind der Doppelzweier der Herren und der Zweier ohne der Herren mit den Plätzen neun und zehn. Und wir, die Achter-Jungs, kamen zum vierten Rang. Immerhin. 

Vielleicht wäre für uns alle bei noch mehr Zeit, noch mehr Training mehr drin gewesen, aber der DRV kann, glaube ich, über das Ergebnis der Olympia-Regatta 2024 sehr happy sein. Natürlich hätte man sich noch das eine oder andere deutsche Ruderboot mehr in Paris gewünscht. Jede Ruderin und jeder Ruder gab dennoch ihr bzw. sein Bestes in dieser Saison, auch jene, die sich knapp nicht qualifizieren konnten. 

In der Vorbereitung macht natürlich jede Bootsklasse ihr eigenes Ding, aber man tauscht sich schon aus. Was machen die anderen Boote besser als wir und umgekehrt. Aber in Paris bei der olympischen Regatta gab es ein ausgezeichnetes Zusammenspiel. Wir unterstützten uns gegenseitig. Es wurde miteinander gejubelt, getröstet und gegenseitig die Daumen gedrückt. Der Team-Spirit bei uns Ruderinnen und Ruderern stimmte super – es entwickelten sich dank Olympia Bekanntschaften fürs Leben.

Frage: Angesichts der eher mauen sportlichen Olympia-Bilanz wird in Deutschland nun "gemault"... Aus Deiner Sicht: Was müsste in puncto Sportförderung in Deutschland besser werden?

Max: Tja, leider haben wir Deutschen so eine kleine „Mecker-Kultur“. Sind wir vorn, war alles bestens. Sind wir hinten, ist alles schlecht. Differenziert wird dann gar nicht mehr. Pauschalurteile sind dabei allerdings wirklich fehl am Platze.

Natürlich hätten sich viele noch mehr Medaillen gewünscht, aber was immer übersehen wird: Woanders wird auch hervorragend gelaufen, gefochten, geschwommen, geturnt, gerungen, geboxt, geritten oder gerudert. Auch woanders wird hart, intensiv und professionell trainiert. Der internationale Austausch ist viel größer und umfangreicher als in früheren Zeiten. Alles wird internationaler und multikultureller. Die Welt ist inzwischen auch sportlich ein globales Dorf. Das gilt für die großen wie für die vermeintlich kleineren Sportarten.

Natürlich wird nach Olympia in jedem Sportfachverband geschaut werden: Was ist unter den gegenwärtig vorhandenen Bedingungen, ob finanziell, materiell, personell oder konzeptionell/strukturell in Deutschland möglich und was ist nicht möglich, wenn sich der Status Quo nicht ändert?!

Andere Länder haben in puncto Förderung des Hochleistungssportes ihre Anstrengungen deutlich erhöht, investieren mehr Ressourcen für den olympischen Sport. Aber Medaillen um jeden Preis sollten nicht angestrebt werden. Sport ist zwar wichtig, aber nicht das Wichtigste. Und Erfolge erzwingen – das geht gar nicht. Sport vermittelt Werte. Das schließt ein Siegen „auf Teufel komm raus“ ganz einfach aus! Es würde auch nicht in unsere Wertevorstellungen hierzulande passen.

Die Sporthilfe unterstützt uns in Deutschland aber nach Kräften – und das auch zwischen den jeweiligen Olympischen Spielen. Andere entdecken uns – nicht nur uns Ruderer – erst zu Olympia. Und läuft es dann nicht so, wie es sich einige Nicht-Sportler erträumen, dann ist der Aufschrei groß: „Warum wart Ihr nicht besser? Warum sind uns die anderen enteilt? Früher und vor 30 Jahren war doch alles besser!“ Das ist immer dieses zeitgenössische Wehklagen, obwohl „früher“ auch nicht alles besser war! Vielleicht wird aber „morgen“ dann wieder alles "bestens"! :)

Ernsthaft… Es ist halt so: Es gibt Verbände in Deutschland, die sehr professionell sind und Weltspitze darstellen bzw. hervorbringen, und einige Verbände, die sicher Nachholbedarf haben, ob in Sachen Nachwuchsförderung, Trainerausbildung oder allgemeine Sportförderung. Und es gilt gerade in Zeiten nach Olympia, wenn es die personellen Umbrüche gibt: Wir brauchen mehr intensiv geförderten sportlichen Nachwuchs, wir müssen mehr Kids für den Sport begeistern, hin zu mehr Bewegung, zu mehr Leistungsbereitschaft, zu mehr Wertevermittlung. Das ist schon etwas, was einige andere Länder schon besser machen.

Frage: Es wird beim Rudersport, wie angesprochen, meist nur hingeschaut, wenn Olympia oder WM sind... Wie sieht aber Dein Trainingsalltag aus?

Max: Ja, das ist leider „der Klassiker“. Rudern findet zwischen Olympia medial nur dürftig statt. Von Vorläufen, Hoffnungsläufen und Finalläufen werden selbst bei Olympia nur zwei oder drei Wettkämpfe wirklich live übertragen. Bei Weltmeisterschaften ist es noch weniger. Fährt man dann noch hinterher – setzen die vernichtenden Kritiken a la „Die können ja gar nichts!“ ein. Dass jedoch deutlich mehr dahinter steckt, ein unwahrscheinlich großes Trainingspensum, ein General-Verzicht auf viele angenehme, alltägliche Dinge, oft Dreifachbelastungen durch Sport, Ausbildung/Beruf und Familie, sehen die Wenigsten.

Das sind dann schon zwanzig Stunden Training pro Woche, zwei- bis dreimal am Tag. Die nächste Saison beginnt dabei schon immer im Herbst, mit Trainingsaufbau, usw., aber die ersten Regatten gibt es dann erst im Frühjahr. Die ganzen Entbehrungen, die notwendig sind, um in der Weltspitze mithalten zu können, sehen viele Außenstehende nicht, die sagen dann so schön: „Was macht Ihr eigentlich das ganze Jahr?“…

Es ist jedoch das ganze Jahr über viel Kraft- und Ausdauertraining erforderlich, ebenfalls im Winter. Man muss dabei natürlich auch auf seine Ruderkilometer kommen. Das geht nicht allein. Dazu müssen wir schon an einem Ort gemeinsam sein, gemeinsam trainieren, um uns zu einer erfolgreichen, eingespielten Truppe zu entwickeln.

Und das ist nicht nur in Deutschland so oder – wie früher, auch im Rudersport - in einigen wenigen Ländern. Das ist inzwischen in vielen Ländern überall auf der Welt der Fall. Wenn es dann aber – trotz besten Einsatzes – nicht zu Edelmetall reicht, reden einige gleich von Versagen und mangelnden Trainingseifer. So ist es aber nicht!

Letzte Frage: Wie geht es nun für Dich weiter - persönlich, sportlich, beruflich?

Max: Nach all den positiven Erlebnissen in Paris, der ganzen beeindruckenden olympischen Atmosphäre, der positiven Stimmung in den Arenen bzw. Stadien und vor allem nach der tollen Abschlussfeier mit der spektakulären Show-Einlage von Tom Cruise sage ich mir schon: Ich habe auch "Bock" auf L.A. 2028!

Ich fühle mich nach wie vor sehr fit, sehe bei mir noch Steigerungsmöglichkeiten und bin alles andere als „wettkampfmüde“. Im Gegenteil.

Gern würde ich auch in den kommenden Jahren weiterhin im Achter rudern. Ich schaue, wie es die nächsten zwei Jahre läuft – und entscheide dann. Denn: Vier Jahre sind eine lange Zeit, da kann viel passieren. Läuft es aber bis 2026 sehr positiv, „bleibe“ ich auch bis L.A. 2028 „am Ruder“!

Mein sportwissenschaftliches Studium in Bochum möchte ich aber endlich beenden, um neben dem Sport ein zweites Standbein zu haben. Vom Rudern allein kann man ja nicht leben. Auch weitere Ausbildungen strebe ich durchaus an…

Vielen Dank und weiterhin alles erdenklich Gute!

Rudersportliches Kalenderblatt - Die Schweriner Ruderin Sabine Brincker

Vor 50 Jahren, 1974, bei den ersten Ruder-WM der Frauen in Luzern wurde die Schwerinerin Sabine Brincker mit dem DDR-Achter-Weltmeisterin, nachdem sie ein Jahr zuvor, bei den Ruder-EM 1973 in Moskau, mit dem Frauen-Achter der DDR Vize-Europameisterin geworden war. Im Jahr 1975 wurde Sabine Brincker dann noch Weltmeisterin im Frauen-Vierer mit der DDR.

M.Michels