Diskuswerfen und M-V – da geht immer einiges unter den fünf olympischen Ringen. Wobei man nicht nur an Schwerins früheren Diskusrecken Jürgen Schult denken sollte, der viermal bei Olympia – 1988, 1992, 1996 bzw. 2000 – dabei war und 1988 Olympia-Gold erkämpfte. Nein, auch die Diskus werfenden Frauen in M-V sind seit 60 Jahren regelmäßig bei Olympia dabei und sorgten oft für vordere Platzierungen.

Ingrid Lotz aus Malliß/Dömitz schaffte 1964 Silber. In Mexico-City 1968 kam die Greifswalder Universiade-Siegerin von 1970, Karin Illgen, auf Rang zehn. Vier Jahre später, in München 1972, belegte die Schwerinerin Gabriele Hinzmann Rang sechs und jubelte dann 1976 in Montreal über Bronze.

In der kanadischen Metropole beeindruckte zudem Sabine Engel (SC Neubrandenburg) mit Rang fünf. 1984 in Prag, bei der Gegenveranstaltung in der Frauen-Leichtathletik zu den vom Ostblock boykottierten Spiele in Los Angeles, ließ die Rüganerin Diana Sachse mit Rang zehn aufhorchen, als verheirate Diana Gansky jubelte sie 1988 in Seoul über Silber.

Von 1992 in Barcelona, 1996 in Atlanta, 2000 in Sydney und 2004 in Athen war dann Franka Dietzsch (SC Neubrandenburg) bei Olympia dauerhaft am Start. Eine Medaille blieb der Dreifach-Weltmeisterin (1999, 2005, 2007) und Europameisterin (1998) zwar versagt, aber mit Rang vier (1996) und Rang sechs (2000) war das Podest in unmittelbarer Sichtweite.  

2012 in London setzte die „MV-Serie“ im Frauen-Diskuswerfen die Greifswalderin Anna Rüh (seinerzeit SC Neubrandenburg) fort – mit Rang neun. Und zuletzt überzeugten – „aus MV-Sicht“ - 2021 bei den Spielen in Tokyo mit der in Neubrandenburg trainierenden Marike Steinacker (Platz acht) und Claudine Vita (SC Neubrandenburg / Rang neun) zwei weitere Diskuswerferinnen mit MV-Background.

Paris 2024 ist auch für Claudine Vita das nächste große Ziel. Die 27jährige Sportsoldatin und Studentin des Studiengangs „Frühkindliche Erziehung“ an der Hochschule Neubrandenburg, feierte dabei schon einige Medaillen-Erfolge: So wurde Claudine U 20-Europameisterin 2015 in Eskilstuna, U 23-Europameisterin 2017 in Bydgoszcz, U 18-Vize-Weltmeisterin 2013 in Donezk, Universiade-Zweite 2019 in Neapel und EM-Dritte 2022 in München.

Mit 1,79 Meter ist die durchtrainierte Sportlerin zwar groß, aber nur relativ, weil in der Zunft der Diskuswerferinnen Körpergrößen zwischen 1,85 Meter bis 1,98 Meter längst keine Seltenheit mehr sind. Dass Claudine trotzdem so gut ist, hängt mit ihrer Schnellkraft und der Kontraktionsfähigkeit ihrer „Muckis“ zusammen. Claudine profitierte dabei in der Vergangenheit oft von ihrer Schnellkraft, die genetisch veranlagt ist, und die sie sich aktuell wieder als Stärke erarbeiten möchte.

Überhaupt ist Claudine sehr sportlich, zunächst begeisterte sie sich für den Fußballsport, dann für die Leichtathletik, wobei erst einmal  Mehrkampf – dort schaffte sie als Teenager zweimal den deutschen Titel – sowie der Hürdenlauf bzw. der Weitsprung auf der Agenda standen. Für die technischen Disziplinen – neben dem Diskuswerfen war/ist Claudine ebenfalls eine exzellente Kugelstoßerin – wurde sie von Erfolgstrainer Dieter Kollark 2009/2010  entdeckt, als sie noch Mitglied des SG Gaselan Fürstenwalde war. Sie schloss sich schließlich dem SC Neubrandenburg an und besuchte das dortige Sportgymnasium.

Dank Dieter Kollark sowie der Kugelstoß-Olympiasiegerin von 1996, Astrid Kumbernuss, konnte Claudine ihr Talent weiter entfalten.

Und sie ist eine echte Kämpferin – nicht nur im Diskusring. Ihre Eltern, der Vater arbeitete als Mathematik-Lehrer in Angola, mussten wegen des dortigen Bürgerkrieges, von den Vereinigten Staaten wie der Sowjetunion, dann Russland gleichermaßen entfacht, fliehen, um sich in Deutschland - zusammen mit den vier Kindern (Claudine hat drei Geschwister!) - ein neues Leben aufzubauen. Was auch gelang, denn alle Geschwister machten Abitur und studieren erfolgreich. Für Claudine war dabei ein Leben neben dem Sport unbedingt wichtig, denn eine hochleistungssportliche Karriere ist endlich oder ein Ausgleich zum Sport ist zudem wichtig, um nicht den gewissen einseitigen Tunnelblick zu entwickeln und zudem - um das Leben neben den Sportarenen nicht zu vergessen. Sport ist vieles, aber nicht alles im Leben von Claudine…

Nachgefragt bei Claudine

Claudine über ihren sportlichen Werdegang, ihre Disziplin, dem Diskuswerfen, kommende Wettkämpfe und die Ziele für Paris

"Ich mag das Diskuswerfen einfach..."

Frage: Claudine, einst Fußballspielerin nun erfolgreiche Diskuswerferin. Wie bist Du zum Fußballsport gekommen und dann zum Diskuswerfen? Wann wusstest Du, dass das Diskuswerfen Deine Disziplin ist?

Claudine Vita: Meine Brüder waren aktive Fußballspieler und so zog es mich auch auf das Fußballfeld. Allerdings waren in unserer Gruppe nur wenig Mädchen, die ebenfalls Fußball spielen wollten und so war das Thema Fußball für mich relativ schnell erledigt. Nachdem ich 2010 und 2011 Deutsche Schülermehrkampfmeisterin, einem Block-Wettkampf, wurde, geriet ich auch endgültig ins Blickfeld von Erfolgstrainer Dieter Kollark vom SCN. Die ersten Berührungen zum Diskuswerfen überhaupt gab es jedoch 2009. Ich versuchte mich dort und mein damalige Trainer Joachim Weihrich und mein künftiger Trainer Dieter Kollark sahen, dass ich dafür eine natürliche Begabung, ein Talent hatte bzw. habe. Ich habe mich wohl ganz gut angestellt damals... Und ich wollte auch vom Diskuswerfen nicht mehr lassen, ich mag diese Disziplin ganz einfach. Die Komplexität in den Bewegungsabläufen reizt mich, zumal mehrere Komponenten stimmen müssen, soll ein Wurf weit und damit erfolgreich sein. Und das erfordert hartes Training und volle Konzentration!

Frage: Wie sieht Dein Trainingsalltag aus?

Claudine Vita: Bei mir gibt es die Sechs-Tage-Woche und mitunter muss ebenfalls ein freier Sonntag für das Training gecancelt werden. Im Herbst/Winter ist das Training intensiver, jetzt in der Saison ist der tägliche Umfang vier Stunden - auf den Vormittag und den Nachmittag verteilt. Es ist zumeist ein Mix aus Krafttraining, Wurftraining und Athletik. Montags, mittwochs und freitags ist verstärkt Wurftraining sowie Athletik angesagt. Die anderen Tage gilt insbesondere, aber nicht nur, der Athletik und der Kraft. Aber es ist flexibel angelegt.

Frage: Welche Etappen sind auf dem Weg nach Paris noch zu meistern?

Claudine Vita: Demnächst starten die internationalen Sportfeste, in denen es gilt, die Wettkampfhärte zu schärfen und Selbstbewusstsein für die kommenden wichtigen Events zu tanken. Anfang bzw. Mitte Juni stehen die EM in Rom auf der Agenda, Ende Juni folgen die Deutschen Meisterschaften in Braunschweig, ein ganz, ganz wichtiger Wettkampf in Richtung Paris. Es gibt in Deutschland ja eine besondere Konkurrenz-Situation, weil es mit Kristin Pudenz, Shanice Craft, Marike Steinacker, Julia Harting und mir gleich fünf Anwärterinnen auf die Olympia-Tickets gibt und alle Genannten über die 64 Meter werfen können. In dieser Saison wird es schon so sein, dass vor allem die Weiten zählen, aber gute Platzierungen bei internationalen Wettkämpfen, wie den EM, dennoch wichtig sind. Und bei der engen Konkurrenz haben dann die Deutschen Meisterschaften Ende Juni eine große Bedeutung.

Frage: Angenommen das Olympia-Ticket wird gebucht... Was sind die Minimalziele für Paris?

Claudine Vita: Na ja. Erst einmal steht schon das Olympia-Ticket an erster Stelle. Das zu erlangen, wird schwer genug! Tja - und wenn es dann klappen sollte, wäre das Erreichen des Diskuswurf-Finales in Paris das Ziel: ein Platz zwischen fünf und sechs und möglicherweise eine neue persönliche Bestleistung. Es wird hart!

Frage: Wie sieht Dein Leben eigentlich neben dem Sport aus?

Claudine Vita: Aktuell, in der olympischen Saison 2024, steht der Sport an erster Stelle. Danach gibt es nicht viel mehr... Im Winter habe ich gerade meinen Bachelor in "Frühkindlicher Erziehung" (Pädagogik) gemacht. Es ist schon wichtig, auch neben dem Sport ein zweites Standbein zu haben. Ich bin froh, dass mir das trotz der Mehrfachbelastungen gelang.

Letzte Frage: Sind Deine Geschwister auch sportlich aktiv? Gibt es noch Kontakte zu Angehörigen in Angola?

Claudine Vita: Meine beiden Brüder sowie meine beiden Schwestern waren alle sportlich aktiv, jetzt widmen sie sich ihrer Arbeit und machen Sport nur noch als Ausgleich. Was Angola betrifft: Da halten vor allem meine Eltern noch die Kontakte zu den Verwandten. Nach meiner leistungssportlichen Karriere werde ich sicherlich auch nach Angola reisen, mich interessiert das schon sehr!

Vielen Dank und alles erdenklich Gute mit Blickrichtung Paris!

MM