Fast 30 Jahre ist es her. Barcelona 1992 - erstmals seit Tokyo 1964 gab es wieder eine gemeinsame deutsche Mannschaft, nachdem sich die DDR und Westdeutschland am 3.Oktober 1990 staatlich vereinten.
Wirklich gemeinsam?!
Seinerzeit war formal zwar eine gemeinsame Mannschaft vorhanden, aber emotional, menschlich weniger. Die Athleten aus "dem Osten" wurden kritisch beäugt, galten diese doch als "dopingverseucht", durch Drill trainiert und als ehemalige Privilegierte in der Ex-DDR. Wie wir allerdings heute wissen, wurde auch in Westdeutschland systematisch gedopt, liegen genügend Studien über Doping und Drill zwischen Flensburg und Bayrischem Wald vor. Und eine üppige staatliche Förderung erhielten auch die ehemals westdeutschen Athletinnen und Athleten...
Dieses gegenseitige Misstrauen prägte auch die nationalen olympischen Qualifikationswettkämpfe 1991/92, insbesondere in der Leichtathletik, im Schwimmen oder im Radsport, und trug nicht gerade zur Überwindung der vermeintlichen "Mauer in den Köpfen" bei.
Nichtsdestotrotz: Die sportliche Bilanz der Olympischen Spiele 1992 konnte sich durchaus sehen lassen, belegten die wieder gemeinsamen Deutschen doch Rang drei im Medaillenspiegel hinter dem Nachfolge-Team der Sowjetunion, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, und den USA.
Ohne Terror und Boykott
Was viel wichtiger ist: Endlich, nach fast einem Vierteljahrhundert, nach Mexico-City 1968, gab es in Barcelona 1992 wieder terror- und boykottfreie Spiele. 1972 überschattete das blutige Olympia-Attentat gegen das israelische Olympia-Team die Spiele von München. Vier Jahre später, 1976 in Montreal, folgte der Boykott der afrikanischen Staaten - 1980 in Moskau dann der Boykott des Westblocks und 1984 in Los Angeles der Boykott des Ostblocks. Und in Seoul 1988 gab es den kleinen Boykott unter anderem von Nordkorea, Kuba und Äthiopien.
Politische Wende und Folgen
Die Wende-Jahre 1989 bis 1991, in denen die realsozialistische Staatengemeinschaft weitestgehend zerfiel, wirbelte auch das sportliche Koordinatensystem durcheinander. Neue Staaten entstanden wieder, wie Litauen, Lettland oder Estland, verschwanden gänzlich von der sportlichen Bildfläche, wie die Sowjetunion, die DDR oder Westdeutschland, und "sortierten" sich neu, wie einstige Sowjetrepubliken im bereits genannten Team der GUS. Ja - und aus "FRG" bzw. "GDR" wurde damit "GER"...
Erfolgreiche Athletinnen und Athleten aus M-V
Natürlich trugen auch Athletinnen und Athleten aus Mecklenburg und Vorpommern zum Erfolg der vereinten deutschen Mannschaft 1992 bei. Gold holten Boxsportler Andreas Tews (Schweriner SC) im Federgewicht und die Kanu-Rennsportlerinnen Anke von Seck (SC Empor Rostock) bzw. die gebürtige Rostockerin Ramona Portwich, die viele Jahre für den SC Empor Rostock startete und während der 1992er Spiele Mitglied des KC Limmer Hannover war, im Zweier-Kajak über 500 Meter. Mit der gebürtigen Warenerin Katrin Borchert (SC Neubrandenburg) und der Brandenburger Kanusport-Legende Birgit Schmidt schafften sie zudem Silber im Vierer-Kajak über 500 Meter.Die frühere Schweriner Ruderin Sybille Schmidt wurde 1992 zudem Olympiasiegerin im Doppelvierer.
Silberne Erfolge hatten die Starterinnen und Starter aus M-V in der katalonischen Hauptstadt ebenfalls, so Diskuswerfer Jürgen Schult (Schweriner SC) und der gebürtige Güstrower Ruderer Thoralf Peters im Vierer mit.
Mit Bronze bedacht
Bronzene Medaillen aus MV-Sicht erkämpften der gebürtige Rostocker Boxsportler Jan Quast im Halbfliegengewicht, die gebürtige Bartmannshagenerin Antje Frank bzw. die gebürtige Schweriner Ruderin Annette Hohn im Vierer ohne, der Ruderer Hans Sennewald (ORC Rostock) im Herren-Achter, die gebürtige Wismarerin Kathrin Haacker bzw. die gebürtige Kühlungsbornerin Dana Pyritz im Frauen-Achter im Rudern und der Stralsunder Andreas Behm im Leichtgewicht des Gewichthebens.
Dort, an den Wettkämpfen 1992 im Gewichtheben, nahmen auch zwei weitere Athleten aus M-V teil: der Stralsunder Udo Guse im ersten Schwergewicht und der gebürtige Schweriner Marco Spanehl im Federgewicht.
Handballer ohne Fortune
In der MV-Traditionssportart Handball waren auch einige Akteure aus M-V dabei. Im Herren-Team agierten der gebürtige Warnemünder Matthias Hahn, von 1984 bis 1990 beim SC Empor Rostock, der gebürtige Güstrower Holger Schneider, als Spieler und Trainer davor und danach beispielsweise beim SV Post Schwerin, HC Empor Rostock, Stralsunder HV und Güstrower HV aktiv, und der 1980er Olympiasieger, der Rostocker Frank-Michael Wahl. Auch Goalie Michael Krieter, zwischen 2000 und 2003 beim SV Post Schwerin, gehörte zum deutschen Aufgebot bei Olympia 1992. Allerdings: Das deutsche Herren-Handball-Team belegte vor knapp 30 Jahren nur Rang 10...
Besser machten es die deutschen Handball-Frauen 1992 - mit der gebürtigen Rostockerin Andrea Bölk, die u.a. bei der TSG Wismar bzw. beim SC Empor Rostock spielte, der gebürtigen Stralsunderin Silke Fittinger, die in ihrer Jugendzeit beim ASK Vorwärts Stralsund agierte, und die gebürtige Rostockerin Birgit Wagner, bis zum Einheitsjahr 1990 beim SC Empor Rostock. Die deutschen Mädel erreichten Rang vier.
Auch in anderen Sportarten zumindest dabei
Aber auch in weiteren Sportarten und Disziplinen qualifizierten sich Sportlerinnen und Sportler aus M-V für die Spiele 1992, so in der Leichtathletik Diskuswerferin Franka Dietzsch (bis 1990 SC Empor Rostock, danach SC Neubrandenburg), die gebürtige Bützower Sprinterin Andrea Philipp (bis 1994 SCT/SSC), die gebürtige Sanitzer Weitspringerin Helga Radtke (SC Empor Rostock) und die 800 Meter-Läuferinnen Christine Wachtel (in Altentreptow geboren und in ihrer aktiven Zeit für den SC Neubrandenburg bzw. den SC Empor Rostock startend) und Sigrun Wodars (in Neu Kaliß geboren, für den SC Neubrandenburg startend)
Im Ringen war der Greifswalder Olaf Brandt (Fliegengewicht/griechisch-römisch), im Boxsport Dieter Berg (Schweriner SC, Bantamgewicht) bzw. Andreas Zülow (Schweriner SC, Halbweltergewicht), im Rudern das Trio des ORC Rostock Thomas Woddow, Peter Thiede bzw. Michael Peter (Zweier mit) bzw. der spätere Wahl-Wismarer Armin Weyrauch (Vierer ohne), im Sportschießen der gebürtige Demminer Axel Wegner (Skeet), im Schwimmen der gebürtige Güstrower Patrick Kühl bzw. der gebürtige Rostocker Nils Rudolph und im Turnen die Rostockerinnen Jana Günther bzw. Kathleen Stark am Start. Des Weiteren war die in Grevesmühlen geborene Wibke Bülle, die 1986 ihre Regatta-Premiere auf dem Schweriner See hatte, Ersatz-Starterin im Segeln (470er Klasse).
Zwar gab es kein Edelmetall, aber sehr respektable Platzierungen, denen ebenfalls viel Respekt gebührt.
Übrigens: Zur nominierten deutschen Vielseitigkeits-Mannschaft für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona gehörte auch der Mecklenburger Christian Zehe aus Sanitz. Leider starb sein Pferd Gallus nach dem letzten Training kurz vor den Spielen…
Bei den Paralympics 1992 an gleicher Stelle imponierten zudem die Athletinnen und Athleten aus M-V innerhalb der vereinten deutschen Mannschaft, so die gebürtige Ueckermünderin Marianne Buggenhagen mit viermal Gold (Fünfkampf, Speer, Diskus und Kugelstoßen), die gebürtige Pasewalkerin Martina Willing mit Speerwurf-Gold, Kugelstoß-Silber bzw. Diskus-Bronze in ihrer Handicap-Klasse und der Greifswalder Karl Christian Bahls im Herren-Team-Wettkampf des Bogenschießens.
Ja, es ging aus MV-Blickwinkel sportlich einiges in Barcelona 1992.
"Königin" der Spiele aus Ungarn
Die "Königin" der Olympischen Spiele 1992 in Barcelona war indes eine Ungarin - Krisztina Egerszegi - der "König" der weißrussische Turner Witali Scherbo.
Barcelona 1992 als Friedenshoffnung
Barcelona 1992 sorgte seinerzeit für neue Hoffnung, auf mehr Frieden, auf mehr Toleranz und auf mehr Miteinander in der Welt, wenngleich im ehemaligen Jugoslawien nach 1990 bereits die Gewalt eskalierte und nach 1992 noch zunahm...
Leider ist seit 1992 die Welt kein besserer Ort geworden - im Gegenteil. Das Wettrüsten nimmt zu, Hunger und Armut bestimmen noch immer die Schlagzeilen und die politischen Spannungen in Europa, Lateinamerika, Asien und Teilen Afrikas nehmen eher zu.
Olympia bildet dabei eine verbleibende "Stütze des Friedens", die allerdings real nur eingeschränkt als Stütze des Weltfriedens dienen kann. Macht, Einfluß und Geld haben andere!
Olympische Anmerkung am Rande: Bei Olympia 1992 standen letztmals olympische Demonstrations- und Vorfür-Wettbewerbe auf dem Programm, die jedoch nicht Bestandteil im offiziellen Wettkampfprogramm waren.
Erstmals gab es 1900 in Paris olympische Demonstrationssportarten, wie Ballonfahren, Boule, Motorsport und Flugsport.
Diese Demonstrations- und Vorführ-Wettbewerbe waren oftmals eine Referenz des IOC an das Gastgeber-Land, um dortige populäre Sportarten vorzustellen und/oder aus Sicht des IOC interessante Sportarten zu protegieren, um diese später in das offizielle olympische Programm aufzunehmen.
Zwischen 1900 und 1992 wurden mehr als 30 Sportarten demonstriert bzw. vorgeführt, so unter anderenm bei Olympia 1972 in München Badminton bzw. Wasserski, 1984 in Los Angeles Tennis bzw. Baseball (wobei Steffi Graf im Damen-Einzel siegte), 1988 in Seoul Baseball, Taekwondo, Frauen-Judo, Badminton, Bowling sowie Rollstuhl-Leichtathletik und 1992 in Barcelona Pelota, Rollhockey, Rollstuhl-Leichtathletik und Taekwondo. (Montreal 1976 und Moskau 1980 verzichteten auf Demonstrationswettbewerbe.)
Bei den letzten Spielen mit Demonstrations- und Vorführwettbewerben schnitten die Gastgeber besonders gut ab - 1988 Südkorea mit 13 Erfolgen und 1992 in Barcelona Spanien mit 10 Erfolgen.
Zwölf ehemalige Demonstrations- und Vorführ-Sportarten schafften zumindest zeitweise oder dauerhaft die Aufnahme in das olympische Programm, so unter anderem Badminton, Tennis, Taekwondo und Frauen-Judo.
Marko Michels