Dank Bahn-Radsport-Ass Lea Friedrich aus Dassow zweimal Edelmetall für M-V
Zweieinhalb Wochen wurde aus der vermeintlichen Stadt der Liebe die Stadt der Spiele. Paris lud – nur fast – die gesamte Sportjugend, die mitunter schon im fortgeschrittenen Alter war, vom 26.Juli 2024 bis 11.Juli 2024 ein. Die Sportmächte Russland und Weißrussland blieben aufgrund des Ukraine-Krieges außen vor. Und damit begann das Dilemma der Spiele: Nicht allein wegen des Ukraine-Krieges und dessen Folgen… Es waren Konflikt-Spiele, Spiele, die vor dem Hintergrund von 47 Kriegen und Konflikten weltweit stattfanden, die auch während der olympischen Wettkämpfe mehr oder minder heftig geführt wurden – gerade in der Ukraine, in Nahost, in Lateinamerika oder im mittleren Afrika. Den viel zitierten olympischen Frieden gab es wieder einmal nicht, aber nie wurde es so deutlich wie 2024.
Schwieriger Anfang
Die Spiele an sich waren gut, aber nicht „glänzend“ organisiert. Ausgerechnet zur Eröffnungsfeier, die einige organisatorische, dramaturgische und choreografische Schwächen aufwies, ließ es Petrus mächtig schütten. Darunter litt die Zeremonie dann doch sehr, sehr stark, zumal die olympische Eröffnungsfeier erstmals nicht in einem Stadion stattfand. Keine gute Idee der französischen Organisatoren, wenngleich einige Programmpunkte dennoch beeindruckten.
Zwischen Gigantismus sowie Kommerz und deutsche Bilanzen
Paris präsentierte Spiele des Gigantismus, des Kommerzes, des Profitums und der großen Politik. Auch das verleidete dem echten Sportfan mitunter das ungetrübte Hinschauen und „Dabei sein“. 329 Entscheidungen in 32 Sportarten gab es, wobei nicht wenige Sportinteressierte fragten, warum es – angesichts von mehr als 1000 Sportarten weltweit – ausgerechnet diese 32 sein mussten. Fast 11000 Athletinnen und Athleten aus 206 Teams fanden den Weg in die französische Hauptstadt und auch Team D mit 472 Sportlerinnen/Sportlern war zahlreich vertreten.
Natürlich reiften nicht alle Blütenträume, aber ein paar „Blüten“ (Medaillen) mehr hätten es schon sein können. Doch auch die neuen Förderprogramme des DOSB & Co. griffen (noch) nicht so richtig, der Abwärtstrend im deutschen olympischen Sommersport ging weiter. Daran ändern auch die sehr positiven Wettkämpfe der Reitsportlerinnen/-sportler, der Kanutinnen/Kanuten, der Handball-Männer, Hockey-Männer, der Basketball-Teams, ob in klassischer oder neuer Form bei Damen wie Herren, die Triathlon-Mixed-Staffel, die versilberte Überraschungsgolferin Esther Hensereit oder die goldenen Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer, wie Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye, Schwimmer Lukas Märtens, Ruderer Oliver Zeidler oder die aus Westsibirien stammende Gymnastin Darja Varfolomeev etwas.
Aber: Entgegen aller medialen und plakativen „Unkenrufe“ gab es keineswegs ein Versagen des deutschen Olympiateams, denn es gab kompakt, in vielen Sportarten, Edelmetall für „Team D“, so im Pferdesport, Schwimmen, Judo, Rudern, Golfsport, Kanusport, Triathlon, Basketball, Boxsport, Beachvolleyball, Radsport, Bogenschießen, Feldhockey, Fußball, Handball und in der Rhythmischen Sportgymnastik. Vordere Platzierungen gab es zudem im Tischtennis, Ringen, Tennis, Fechten, Wasserspringen, Segeln, Taekwondo und Sportschießen – dort wurden Medaillen nur knapp verfehlt.
Kritik und Hoffnung
Natürlich kann man bemängeln, dass es insbesondere im Becken-Schwimmen, in der Leichtathletik, in den Kampfsportarten und in den neuen vermeintlichen „Trend- und Fun“-Sportarten, wie unter anderem Surfen, Skateboarden, Break-Dance oder Klettern, nicht mehr oder überhaupt Medaillen gab.
Hier sind andere Länder – gerade außerhalb Europas – besser geworden. Hinzu kommt: Viele Sportarten, die sich global ebenfalls großer Beliebtheit erfreuen und in denen deutsche Athletinnen/Athleten seit Jahren zu den weltweit Besten gehören, sind derzeit nicht im olympischen Programm, wie Flossenschwimmen, Tanzsport (Mal abgesehen von den Break-Dancern!), Rettungsschwimmen, Ju-Jitsu, Kanu-Polo, Wasserski, Faustball, Beach-Handball oder die Sportakrobatik. Nicht von ungefähr wurde Deutschland bei den vorerst letzten Weltspielen in den nichtolympischen Sportarten, den WORLD GAMES 2022 im amerikanischen Birmingham, erfolgreichste Nation.
Insofern ist beißende, destruktive Kritik am Sportland Deutschland fehl am Platze. Ja, es gibt viele Defizite, aber die haben selbst die Sport-Supermächte USA und China, die ungemein viele Mittel und Ressourcen in den Spitzensport investieren, die außerdem über ein effizienteres (und knallhartes) Fördersystem verfügen - wie auch Japan, Südkorea und weitere asiatische Länder. Hinzu kommt, dass Australien (Folge der Spiele 2000 in Sydney), Großbritannien (Folge der Spiele 2012 in London) und auch Frankreich (als Gastgeber der 2024er Spiele in Paris) den Hochleistungssport neu entdeckten – auch als Wirtschafts- und Unterhaltungsfaktor. Und nebenbei: Erfolgreiche Vorbilder inspirieren wiederum die Jugend – eine Erkenntnis, die in den USA, in China, in Großbritannien und in Australien, neu reifte – ebenfalls eine Folge selbst ausgerichteter Heimspiele. Und die USA dürften in L.A. 2028 noch stärker auftrumpfen als schon aktuell in Paris 2024.
Olympische Spiele in Deutschland wären daher enorm wichtig – als Motor einer neuen, erfolgreicheren sportlichen Entwicklung, aber auch im Hinblick auf ein wirtschaftliches Wachstum, auf eine Verbesserung der Infrastruktur.
Ist der Hochleistungssport etwas „wert“?
Die Menschen hierzulande müssen sich fragen lassen, was ihnen der Hochleistungssport wert ist, ob Deutschland eine (noch) führende Rolle behalten bzw. diese „aufpolieren“ soll, oder ob es auch leistungssportlich weiter „bergab“ gehen soll. Das würde aber negative Rückkopplungen geben, denn – wie erwähnt – um die Kinder und Heranwachsenden für den Sport zu begeistern, bedarf es Vorbilder. Wie meinte treffend Baron Pierre de Coubertin, der Begründer der modernen Olympischen Spiele: „Damit hundert Menschen ihren Körper bilden, ist es nötig, dass fünfzig Sport treiben. Damit fünfzig Menschen Sport treiben, ist es nötig, dass zwanzig sich spezialisieren. Damit sich zwanzig Menschen spezialisieren, ist es nötig, dass fünf zu überragenden Höchstleistungen fähig sind.“
Die Athletinnen und Athleten mit M-V-Background in Paris
Nicht zuletzt die sportiven „Kids und Teens“ in M-V brauchen Vorbilder, denn die Anzahl der Athletinnen und Athleten mit einem M-V-Background – also mit Geburtsort, familiären Bindungen oder einer aktuellen bzw. früheren Vereinszugehörigkeit in M-V – war doch arg übersichtlich. Großartige Leistungen wurden auch von den „MVlern“ in Paris erbracht: Bahnradsportlerin Lea Sophie Friedrich, in Dassow geboren, raste im Teamsprint des Bahnradsportes, zusammen mit Pauline Grabosch und Emma Hinze, zu Bronze, belegte Rang sieben im Keirin und holte dann noch Silber im Einzel-Sprint.
Das Diskuswerfen (Frauen/Männer) wurde bei Olympia 2024 auch von einem MV-Trio mitbestimmt: Marike Steinacker, die bei Gerald Bergmann, beim SC Neubrandenburg trainiert, schaffte Rang vier, und Claudine Vita (SC Neubrandenburg) durfte sich über Rang sechs freuen. Wie auch Clemens Prüfer bei den Herren, der seine sportliche Laufbahn beim LAC Mühl Rosin sowie beim SC Neubrandenburg begann.
Zwar reichte es für die amtierenden Weltmeister auf dieser Distanz, für den gebürtigen Schweriner Peter Kretschmer und Tim Hecker nicht zu einer Medaille im Canadier-Zweier über die 500 Meter im Kanu-Rennsport, aber auch ein fünfter Rang ist eine Menge wert. Vor 12 Jahren, in London 2012, wurde Peter Kretschmer Olympiasieger im Canadier-Zweier über 1000 Meter – mit Kurt Kuschela… Sein olympisches Können hat er also längst deutlich bewiesen!
Zu würdigen ist auch der vierte Rang des Deutschland-Achters mit Max John vom Olympischen Ruder-Club Rostock von 1956. Nach vielen Diskussionen und Querelen im Vorfeld hatten so genannte „Experten“ dem Herren-Achter nicht einmal das Finale zugetraut.
Klasse Leistungen boten zudem die aktuelle Springerin vom WSC Rostock, Jette Müller, und die frühere Springerin vom WSC Rostock, Saskia Oettinghaus. Jette wurde mit ihrer Sprung-Partnerin Lena Hentschel Sechste im Synchronspringen vom Drei-Meter-Brett, zudem Zwanzigste im Einzel und Saskia schaffte im Einzel im Kunstspringen Rang sieben.
Emily Bölk – deren Mutter Andrea, in Rostock geborene Stein, verheiratete Bölk, bereits 1992 und 1996 als Spielerin aktiv war – wurde mit dem DHB-Frauen-Team Achter. Die deutschen Handball-Frauen brachten dabei die französischen Gastgeberinnen im Viertelfinale an den Rand einer Niederlage.
Für die ehemalige Hallen-Volleyballerin und jetzige Beach-Volleyballerin Louisa Lippmann, die zwischen 2016 und 2020 auch beim SSC Palmberg Schwerin schmettert, endete das olympische Beachvolleyball-Turnier 2024, zusammen mit der 2016er Olympiasiegerin Laura Ludwig, zwar schon in der Vorrunde. Das Duo zeigte jedoch gute Leistungen und war eine echte Werbung für den Beach-Volleyballsport. Mitunter sind eben andere besser, das gilt es anzuerkennen.
Felix Koslowski, in Personalunion Trainer beim SSC Palmberg Schwerin und der niederländischen Frauen-Nationalmannschaft, wurde mit dem Volleyball-Team der Niederlande Zehnter, wobei im niederländischen Team unter anderem mit Indy Baijens, Britt Bongaerts, Anne Buijs und Elles Dambrink auch frühere sowie aktuelle SSC-Spielerinnen agierten. Zudem wurde die Chinesin Gong Lijiao, die von Dieter Kollark beim SC Neubrandenburg betreut wird und die Kugelstoß-Olympiasiegerin von 2021 ist, beim Kugelstoß-Wettkampf in Paris Fünfte.
Ein Drama gab es aus M-V-Sicht hingegen im leichtathletischen Siebenkampf der Frauen. Die gebürtige Neubrandenburgerin Sophie Weißenberg, die bis 2019 für den SC Neubrandenburg startete, zog sich beim Warm Up zur ersten Siebenkampf-Disziplin, den 100 Meter Hürden, einen Achillessehnenriss am linken Fuß zu. Es ist zu hoffen, dass die für den olympischen Siebenkampf 2024 so aussichtsreiche Medaillen-Kandidatin möglichst schnell wieder gesund wird, dran bleibt und weiter kämpft.
Von Paris 2024 nach Los Angeles 2028 - Wie weiter, "Team D"?!
Olympia 2024 ist Historie. Es folgen vom 28.August 2024 bis 8.September 2024 noch die XVII.Paralympics an gleicher Stelle – auch mit Athletinnen und Athleten aus M-V, so mit der Schwimmerin Verena Schott (gebürtige Greifswalderin), den Leichtathletinnen Martina Willing (gebürtige Pasewalkerin), Lindy Ave (gebürtige Greifswalderin) bzw. Vanessa Low (gebürtige Schwerinerin, für Australien startend), der Judoka Ramona Brussig (PSV Schwerin), Ruderer Marcus Klemp (gebürtiger Rostocker) und Para-Radsport-Pilot Robert Förstemann (PSV Rostock).
In vier Jahren, 2028, ist Los Angeles der nächste olympische und paralympische Austragungsort. Bereits 1932 und 1984 war L.A. Gastgeber erfolgreicher, wenngleich – mit Blick auf 1984 – nicht unumstrittener Spiele.
Es sind vier Jahre Zeit, um für mehr Frieden, für mehr Gerechtigkeit auf der Welt zu sorgen und für weniger Politik, Kommerz und Gigantismus im Leistungssport! Wird es gelingen? Zweifel sind angebracht. Nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen. Auch bei Berücksichtigung der funktionärstechnischen Aspekte!
Denn: Anstatt eine objektive, deutliche und klare Bestandsaufnahme zum Abschluss der Pariser Spiele zu machen, beweisen die Verantwortlichen vom DOSB Realitätsverweigerung nebst Rechenschwächen. So sei „Team D“ im „Plansoll“ (Eigentlich gab es doch so etwas nur im real existierenden Sozialismus?!) und letztendlich habe man die Anzahl der Goldmedaillen gegenüber Tokyo 2021 gesteigert.
Fakt ist jedoch, dass „Team D“ in Paris 2024 gegenüber Tokyo 2021 – bereits das Ergebnis war mager – vier Medaillen weniger gewann (Tokyo 2021: 37 und Paris 2024: 33). Ja, die Goldmedaillen-Anzahl ist 2024 um zwei höher (vor allem dank der schon genannten Reitsportler und Einzelkämpferinnen/-kämpfer) als noch 2021 (Tokyo 2021 – 10 Goldmedaillen und Paris 2024 – 12 Goldmedaillen). Was für eine „Steigerung“…
Geht man in die olympische Geschichte etwas weiter zurück, wird das Desaster von Paris 2024 aus deutscher Sicht deutlicher. Bei den Olympischen Spielen 1952 holte Deutschland-West bei 149 Entscheidungen 24 Medaillen. Dann gab es zwischen 1956 und 1964 die gemeinsamen deutschen en aus West- und Ostdeutschen. 1956 in Melbourne mit den Reiterspielen in Stockholm lautete die Ausbeute in 151 Entscheidungen 32 Medaillen (darunter achtmal Gold), 1960 in Rom bei 150 Wettbewerben 42 Medaillen (darunter zwölfmal Gold) und 1964 in Tokyo bei 163 Entscheidungen 50 Medaillen (darunter zehnmal Gold).
Und in Tokyo 2021 und Paris 2024 gab es mehr als 320 Medaillen-Entscheidungen – in Paris fehlten zudem die Sportmächte Russland und Weissrussland aus bekannten Gründen.
Versagt haben - ganz deutlich formuliert - nicht die Athletinnen und Athleten, nein, das keineswegs. Sie haben "nur" die schlechteren Ausgangspositionen gegenüber der internationalen Konkurrenz, weil sie sportpolitisch und verbandstechnisch weit unter ihren Möglichkeiten regiert werden.
Ist der DOSB nicht zu einer echten, aufrichtigen Bestandsaufnahme bereit, droht die einstige Sportmacht Deutschland weit zurückzufallen.
Dennoch gilt: Auf nach L.A. 2028!
Marko Michels